Blutberg - Kriminalroman
ihm etwas ins Ohr. »Entschuldige, dass es so lange gedauert hat, aber der Mann war einfach nicht wachzukriegen. Der hat irgendwelches Pillenzeugs geschluckt, das hat er sogar selbst zugegeben.«
»Viktor, nehme ich an?«, fragte Stefán. Der Mann nickte verschlafen und klapperte unentwegt mit den Augenlidern. »Wie geht es Matthías?«, fuhr Stefán fort.
»Matthías?« Viktor sah Stefán verständnislos an.
»Matthías Jónsson.«
»Matthías geht es gut«, erklärte Björg. »Ihm fehlt nichts, was nicht mit ein bisschen Schlaf zu kurieren wäre. Ich habe ihm zwei Schlaftabletten gegeben und ihm gesagt, er soll sich hinlegen. Ich hoffe, dass er diesen Rat befolgt hat und jetzt tief schläft.«
»Gut«, sagte Stefán und wandte sich wieder Viktor zu, gab es aber bald auf, ihm Fragen zu stellen, denn der Mann war offensichtlich absolut nicht in der Lage, sie zu beantworten. Er ging zur Tür, drehte sich dort aber um. »Diese Särge müssen für den Transport fertiggemacht werden«, sagte er, »darum müsst ihr euch kümmern. Wo kommen die denn überhaupt her? Ich meine, habt ihr die hier auf Lager?«
Björg senkte den Blick und hüstelte. »Das kann man vielleicht so ausdrücken«, antwortete sie. »Hier oben gibt es einen Container voll mit Särgen.« Sie blickte wieder hoch und ihre Handbewegung schien eine derartige Vorsorgemaßnahme
entschuldigen zu wollen. »An einem Ort wie diesem - man wollte wahrscheinlich auf alles vorbereitet sein.«
Stefán sah sie aufmerksam an. »Container? Ein ganzer Container voller Särge?«
»Vielleicht nicht voll, aber doch, ja, es sind eine ganze Menge. Vierzig, fünfzig Stück.« Sie hüstelte wieder.
Stefán schüttelte äußerst erstaunt den Kopf. »Na, da kann man ja nur hoffen, dass das reicht«, sagte er. »Árni, komm, wir müssen uns beeilen.« Als die Tür hinter ihnen ins Schloss gefallen war, blieb er eine Weile in dem dichten Schneetreiben stehen und atmete tief durch die Nase ein. »Vierzig, fünfzig Särge«, sagte er, als sie wieder im Auto saßen, »das zeugt ja von einer außerordentlich optimistischen Einstellung!«
»Oder vielleicht einfach von einer realistischen«, entgegnete Árni. »Hier gibt’s bestimmt Bedarf dafür, und wahrscheinlich könnten es ruhig noch mehr sein. Ich meine, man braucht sich doch bloß hier umzusehen.«
»Was meinst du damit?«, fragte Stefán verblüfft und fuhr los. »Ich seh hier nichts.«
»Genau«, sagte Árni, »genau das meine ich. Falls ich hier oben am Arsch der Welt Wochen und Monate arbeiten müsste, würde ich mich bestimmt früher oder später umbringen.«
»Na hör mal«, sagte Stefán, »was soll das denn? Das Wetter ist zwar im Augenblick widerlich, aber die Gegend hier ist doch einfach grandios. Glaub mir, ein einmaliger Ort. Warte einfach, bis sich die Sicht bessert.«
»Ich sehe nicht, dass sich dadurch etwas ändern würde«, knurrte Árni. »Entweder ist das ein schauerlicher Ort - und ich behaupte, dass er das ist - und dann kriegt man unweigerlich schwere Depressionen, wenn man hier länger als ein paar Tage bleiben muss. Oder es ist ein einmaliger und grandioser
Ort, wie du sagst, und dann kriegt man ebenfalls Depressionen, weil man zusehen muss, wie er zerstört wird.«
»Du klingst ja echt aufmunternd, Junge. Ein Sonnenstrahl in der Finsternis ist nichts dagegen, mein lieber Herr Gesangverein.« Árni wurde rot und erwiderte nichts darauf, sondern starrte nur nach vorn auf die Straße. Aber da war rein gar nichts zu sehen. »Auf jeden Fall habe ich jetzt Hunger«, sagte Stefán, als er vor der Kantine vorfuhr, »und zwar mordsmäßig. Sehen wir mal nach, ob noch etwas von den Schnitzeln übrig ist, bevor wir herausfinden, ob Matthías aufgewacht ist.« Árni nickte, gegen diese Planung hatte er nichts einzuwenden, auch wenn er selbst keinen Hunger hatte. Aus unerfindlichen Gründen bekam Stefán nach einem Besuch im Leichenhaus oder einer Tatortbegehung, wo das Opfer noch nicht abtransportiert worden war, immer gewaltigen Kohldampf. Das hatte auch nichts damit zu tun, ob er sich während des Einsatzes übergeben musste oder an sich halten konnte. Weshalb, wusste Árni nicht, und irgendwie hatte er sich nie getraut zu fragen.
Eine Stunde später standen sie auf der Veranda vor dem Holzhaus, in dem Matthías wohnte, und hämmerten an die Tür. Matthías war offensichtlich noch nicht aufgewacht.
14
Montag
Árni gähnte vernehmlich auf dem Beifahrersitz, doch Stefán am Steuer des Landrovers
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