Blutbraut
verriet mir, dass da noch sehr viel mehr gewesen war. Kannte ich ihn tatsächlich schon so gut? »Und dann fand ich Anna. Sie saß mitten auf seinem Bett und schrie. Schrie. Schrie. Keiner wusste von ihr. Zuerst dachte ich, er sei schon so sehr Nosferatu gewesen, dass er sie sich in seinem Wahnsinn als Spielzeug gehalten hatte. Ich brachte sie nach Santa Reyada, damit sie sich erholen konnte. Aber als ich zurückging, um ihn wenigstens zu begraben und es nicht Tomás zu überlassen, ihn irgendwo zu verscharren, wie das Konsortium es eigentlich wollte, sah ich den Ring an seiner Hand. Den gleichen, den Anna trug. Sie war seine Ehefrau. Und seine Sanguaíera. Er hatte sie nur vor uns allen versteckt, weil sie dem Patron einer anderen Familie versprochen war. Als dessen Sanguaíera. Einem von Estébans engsten Freunden. Und Mercedes wusste davon. Aber sie wollte Fabián für sich. Oder zumindest nicht zulassen, dass eine andere ihn ›bekam‹.«
Miststück.
»Er war tatsächlich nur noch einen Schritt davon entfernt gewesen, endgültig Nosferatu zu werden. Aber er wäre es nicht geworden.«
Weil er Anna hatte.
»Ihre Sachen waren gepackt. Er wollte mit ihr fort. Weil er genau wusste, dass das Konsortium ihn, soweit wie er schon war, niemals am Leben lassen würde. Er hätte freiwillig das Leben eines Vogelfreien geführt, um Anna zu schützen. Und als ich kam, hat er nichts gesagt. Hat geschwiegen. Ich habe nie herausgefunden, warum.«
Abermals presste er Mittel – und Ringfinger gegen die Schläfe. »Als ich Fabián getötet habe, habe ich Anna in den Wahnsinn
gestürzt.« Seine Stimme sank zu einem Flüstern herab. »Und als ob das nicht schlimm genug gewesen wäre, hat sie auch noch ihr Kind verloren.«
Oh mein Gott. Arme Anna – armer Fabián. »Und jetzt kümmert sich Luisa um sie.«
»Sí.«
»Für dich?«
»Sí.«
»Und diese Mercedes?«
Er nahm die Hand herunter, blickte in den Nachthimmel. Die Sterne schimmerten wie Diamanten auf schwarzem Samt. »Sagen wir es so: Ich habe sie für ihre Täuschung zur Verantwortung gezogen. Endgültig.«
»Du hast sie getötet?«
Ein Zögern, dann, ohne mich anzusehen: »Sí.«
Unwillkürlich stahl meine Hand sich zu meiner Kehle. Ich zwang sie an meine Seite zurück. »Warum musstest gerade du Fabián … töten. Dass du nicht zulassen wolltest, dass ausgerechnet ihr Bruder es tut, verstehe ich, aber … hätte es kein anderer tun können?«
Eine Sekunde herrschte Schweigen zwischen uns. »Ich bin der Vollstrecker der de-Alvaro-Familie, Lucinda«, sagte er schließlich sanft.
Vollstrecker. Henker. Ich holte einfach nur Luft. Das Geräusch, das ich dabei machte, entlockte ihm ein Lachen. Rau. Und bitter. »Es war meine Pflicht. Einerseits. Andererseits war ich gut darin. Ich wusste, dass ich es schnell tun konnte. Schnell und sauber. Auch bei Fabián. Er war mächtig. Ich war schon damals mächtiger als er.« Er hob die Schultern. Scheinbar gelassen. Und trotzdem änderte sich etwas in seinem
Tonfall. Nur ein ganz klein wenig. »Ich war siebzehn, als Estéban mich dazu machte. Da Cris dafür nicht mehr infrage kam, hatte er die Wahl zwischen Tomás de Silva und mir. Ich hatte ihn gebeten, diesen Kelch ausnahmsweise mal an mir vorbeigehen zu lassen. Es war ihm egal. Er bestimmte mich trotzdem dazu.«
»Aber warum?« Meine Stimme klang dünn.
»Ich weiß es nicht. Vielleicht, weil Tomás selbst für seinen Geschmack zu viel Vergnügen an solchen Dingen fand? Vielleicht, weil er wollte, dass so viel Macht in der Familie bleibt?« Wieder ein Schulterzucken.
Tomás. Immer wieder ›Tomás‹. Wie oft hatte ich diesen Namen heute Nacht schon gehört? Wer war der Kerl? Abgesehen vom Bruder eines intriganten Miststücks. »Hättest du nicht jemand anderen dazu machen können, nachdem er gestorben war?«
»Hätte ich, sí.«
»Und warum hast du nicht?«
»Weil ich keinem anderen das antun wollte, was Estéban mir damit angetan hatte. Und Tomás hätte es für meinen Geschmack zu sehr genossen.«
»Dann bist du Richter und Henker in einer Person.«
»Sí.«
Ich trat auf die nächste Treppenstufe hinunter. »Das tut mir leid.«
Abermals sah er mich verblüfft an. »Die meisten haben aus diesem Grund Angst vor mir und manche hassen mich auch deshalb. Aber es hatte noch nie jemand deswegen Mitleid mit mir.« Er schüttelte den Kopf. »Du erstaunst mich, Lucinda Moreira. – Ich töte. Ich töte im Namen der de-Alvaro-Familie.
Ich töte für die, die ich
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