Blutbraut
Escalade bereits und öffnete mir die Beifahrertür. Dass er sich wachsam umsah und den Blick dabei auch über die Fenster des Hauses wandern ließ, war wahrscheinlich reine Gewohnheit. Auch wenn es vermutlich mehr als unwahrscheinlich war, dass irgendjemand die Bannkreise überschritt, die Santa Reyada umgaben.
Langsam stieg ich aus und ging die Stufen hinauf. Hinter mir knallte eine Autotür. Auf das einer zweiten wartete ich vergebens. Als ich mich umsah, war Jorge zwar bereits wieder auf
der Fahrerseite, beobachtete mich allerdings weiter über die Motorhaube hinweg.
»Gute Nacht, Sanguaíera.«
»Gute Nacht.« Was würde er sagen, wenn sich herausstellte, dass die Tür vor mir verschlossen war und ich keinen Schlüssel dazu besaß? Hatte Cris abgeschlossen? Ich wusste es nicht. Wir hatten heute Morgen die Tür in der Küche genommen … Zögernd streckte ich die Hand nach der Klinke aus und drückte sie. Zu meinem eigenen Erstaunen schwang die Tür tatsächlich auf. Ein letzter kurzer Blick über die Schulter und ein Nicken, dann ging ich hinein und schloss sie wieder hinter mir. Draußen schlug die Fahrertür des Escalade, gleich darauf grollte der Motor auf, dann entfernte sich das Geräusch.
Rosa wehte mir entgegen, kaum dass ich einen Schritt in die Halle hineingemacht hatte. Der Vorhang über dem Fenster neben der Eingangstür bauschte sich. Direkt darunter lagen die Tüten und Taschen von meinem Shoppingtrip mit Cris. Das Batiktuch, das er mir am Santa Monica Pier gekauft hatte, hing achtlos dazugeworfen darüber. Also war er zumindest hier gewesen.
Rasch durchquerte ich die Halle, stieg die Treppe bis zum Absatz hinauf, spähte in den ersten Stock empor. Auch hier war alles dunkel.
»Cris?« Nichts rührte sich. »Cris? Wenn du da bist, bitte, sag was!« Wieder nur Stille. »Cris?« Sollte ich zu seinem Zimmer gehen und nachsehen, ob er sich wie ein schmollendes Kind darin versteckte? Nein. Genau genommen hatte ich Cris hier auf Santa Reyada bisher nur an einem Ort angetroffen, wenn er nachdenklich oder niedergeschlagen war: am Pool.
Ich nahm die Abkürzung durch das Billardzimmer. Noch bevor ich die Glastüren aufstieß, wusste ich, dass Cris nicht da war. Das Mondlicht verwandelte den Pool in einen silbernen Spiegel; glatt, glänzend. Und verlassen. Trotzdem trat ich auf die Terrasse hinaus und an den Rand der Stufen, die zu ihm abwärtsführten. »Cris?« Für eine Sekunde brachte meine Stimme das Zirpen der Zikaden zum Verstummen.
»Er ist nicht hier.« Joaquín kam aus dem Garten herauf.
Ich hatte unwillkürlich die Luft angehalten, als seine Stimme so unvermittelt aus der Finsternis dort gedrungen war. Noch immer rau und kaum mehr als ein Knurren. In der dunklen Hose und dem schwarzen Seidenhemd war er im ersten Moment nicht viel mehr als ein Schatten. »Weiß du, wo er ist?«
»Ich könnte ja Genesis 4:9 zitieren, aber ich lasse es.« Langsam umrundete er den Pool. Das Jackett hatte er locker über der Schulter hängen. »Sein Porsche steht vor der Garage. Wenn er nicht im Haus ist …« Ich schüttelte den Kopf. »… wird er irgendwo auf dem Gelände sein. Vielleicht macht er mal wieder einen seiner ›Spaziergänge‹, um sich abzureagieren.« An der Pool-Ecke, die mir am nächsten war, blieb er stehen, sah auf das Wasser. »Es tut mir leid, was in San Isandro geschehen ist«, sagte er dann, ohne den Blick zu mir zu heben.
»Hat Anna dich verletzt?« Die Frage platzte aus mir heraus, bevor ich es verhindern konnte.
Jetzt zuckten seine Augen doch zu mir. Seine Verblüffung war fast greifbar. Dann hob er die Schultern. »Nur ein Kratzer.«
Nach dem Blut, das ich auf der Schere gesehen hatte, musste es ein ziemlich großer ›Kratzer‹ sein, allerdings bezweifelte ich, dass ich eine andere Antwort bekommen würde, selbst wenn ich ihm das sagte. Aber es gab noch einige Dinge mehr,
zu denen ich Antworten wollte. Heute. Von ihm. »Anna … sie ist wie ich.«
»War«, korrigierte er.
»Sie ist noch immer eine Blutbraut, oder?«
Er versteifte sich, als hätte ich ihn geschlagen. »Sí, das ist sie. Daran wird sich auch nie etwas ändern.«
»Was ist mit ihr passiert, dass sie … so ist? Wer ist Fabián?« Und was hast du damit zu tun?
Die Bewegung, mit der er das Jackett von der Schulter rutschen ließ, wirkte seltsam müde. Schlaff baumelte es von seinem Finger. Es interessierte ihn offenbar nicht, dass es über den Boden schleifte, als er direkt an den Pool trat. Das Wasser
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