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Blutbraut

Blutbraut

Titel: Blutbraut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lynn Raven
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sein. Alles, was ich zustande brachte, war ein Nicken, während ich einen Schritt auf ihn zu machte, um es ihm abzunehmen.
    Cris stieß ein Zischen aus.
    Unwillkürlich zuckte mein Blick zu ihm hin. Seine Lippen waren nur ein dünner, weißer Strich, als er von ihm und dem Hemd in seiner Hand zu mir sah. »Du musst wissen, was du tust«, wiederholte er frostig.
    Ein Teil von mir krümmte sich bei seinem Ton. Das hier war Cris. Mein Cris. Aber ich hätte bis eben nie auch nur im Traum daran gedacht, dass er jemals so mit mir reden würde. War er etwa eifersüchtig? Weil ich einen einzigen Tag mit ihm verbringen würde? Das war vollkommen absurd. Er stand definitiv nicht auf meiner Männer-in-die-ich-mich-verlieben-könnte-Liste. Das konnte nicht sein, oder? Andererseits … hatte Cris überhaupt noch ein Recht dazu? – Ja, ich hatte mich in ihn verliebt. Ja, ich hatte mit ihm zusammen sein wollen; sogar mit ihm schlafen wollen. In Boston. Allerdings schien unsere Zeit dort gerade endlos lange her zu sein. Und nach gestern wurde ich irgendwie das Gefühl nicht mehr los, dass sich ganz plötzlich unendlich viel zwischen uns geändert hatte. Vielleicht sogar zu viel. Nach gestern Nacht brauchte ich Zeit, was ihn und mich betraf. Mehr denn jemals zuvor. Und in dieser Zeit würde ich nicht zulassen, dass er über mein Leben bestimmte; oder es auch nur versuchte. Nicht, wenn er auf einmal dazu bereit war, mir ein bisschen mehr Freiheit zu lassen. Lieber Himmel, wenn es nicht so absolut lächerlich geklungen hätte, hätte man meinen
können, die beiden hätten über Nacht die Rollen getauscht und Cris wäre neuerdings mein Gefängniswärter.
    Mit einer entschlossenen Bewegung griff ich nach seinem Hemd.
    Wieder ein Zischen von Cris. Lauter, wütender diesmal; beinah ein Fauchen. Joaquín ließ ein leises Knurren hören.
    Ich versuchte, die beiden nicht zu beachten, klemmte es mir zwischen die Knie und zog das Shirt über den Kopf. Das Trägertop darunter rutschte in die Höhe, entblößte meinen Bauch, den Ansatz meiner Rippen. Ich zerrte es an seinen Platz zurück, stopfte eine Ecke des Shirts in meine Hosentasche, damit ich die Hände frei hatte, und streifte schließlich das Hemd über. Wie er gesagt hatte: Es war mir zu groß. Während ich die Ärmel aufkrempelte, drehte ich mich, ohne nachzudenken, zu Cris um. Und stockte mitten in der Bewegung. Einen solchen Blick hatte ich noch nie bei ihm gesehen. Einen Moment sah er mich einfach nur an, dann zuckten seine Augen von mir zu seinem Bruder, ehe er abrupt kehrtmachte und aus der Küche stürmte. Krachend schlug die Tür hinter ihm zu. Erst jetzt wurde mir bewusst, dass ich irgendwann vergessen hatte zu atmen. Und dass die Vorhänge verrücktgespielt haben mussten. Ein wenig zittrig schlug ich die Ärmel endgültig auf eine passende Länge um und knotete das Hemd um meine Mitte. Er beobachtete mich reglos und schweigend. Auch als ich das Shirt flüchtig zusammenfaltete und auf einen der Hocker beim Tresen legte.
    »Ich habe deine Einkäufe von gestern mit nach oben genommen. Sie stehen vor deiner Tür«, sagte er schließlich in die Stille hinein.
    »Danke.« Meine Stimme klang schwach.
Erst mit einiger Verzögerung wandte er den Blick von der Tür ab, mir zu und nickte.
    »Was wird Cris …«, unbehaglich verstummte ich.
    Erneut sah er zur Tür, hob leicht die Schultern. »Ich weiß nicht, was er tun wird.« Zwischen seinen Brauen erschien eine feine Linie. »In letzter Zeit habe ich immer öfter das Gefühl, ich weiß überhaupt nichts mehr über ihn.« Seine Augen kehrten zu mir zurück. »Wollen wir? Dann schaffen wir es vielleicht noch, bevor die Sonne den Zenit erreicht hat.« Dass ich hastig zu den Resten des Frühstücksgeschirrs schaute, entging ihm nicht. »Lass stehen.« Er hob die Stimme. »Das gilt auch für dich, Rosa.«
    Ich war nicht sicher, ob sie ihn ›gehört‹ hatte; ob sie überhaupt noch hier war. Ihr Lavendelduft hing auf jeden Fall nicht mehr im Raum.
    Als ich mich umwandte, um zur Tür zu gehen, brach die Erkenntnis über mir zusammen: Ich würde heute den ganzen Tag mit ihm verbringen. Allein. Irgendwie schaffte ich es, weiter einen Fuß vor den anderen zu setzen. Vor ihm her. Obwohl sich alles in mir verkrampfte und jeder Atemzug eine Kraftanstrengung war. Er war hinter mir, ließ mir mehr als genug Raum. Mühsam würgte ich den Kloß in meiner Kehle hinunter. Es war meine Entscheidung gewesen! Meine ganz allein. Niemand zwang mich dazu.

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