Blutbraut
breit keine Spur zu sehen war. Selbst wenn uns der Untergrund an manchen Stellen zwang, vergleichsweise langsam zu fahren, zogen wir eine Staubfahne hinter uns her.
Mehr als einmal ertappte ich mich dabei, dass ich mich fragte, wie ich an meinem ersten Tag auf Santa Reyada auch nur hatte auf die Idee kommen können, in diese mörderische Sierra hineinzulaufen. Ohne auch nur den Hauch einer Ahnung, wo ich war.
Er schien hier draußen allerdings jedes Schlagloch zu kennen.
Beinah die ganze Fahrt über klebte ich regelrecht an der Scheibe und bewunderte, was da draußen vorbeiglitt; wild und rau. Und auf eine grausame Art wunderschön.
Die meiste Zeit ließ er mich einfach nur staunen, machte
mich nur ab und an auf eine besondere Felsformation aufmerksam, auf einen Schatten oder auf irgendein anderes Detail, das mir sonst schlicht entgangen wäre.
Als er den Wagen in der Garage angelassen hatte, hatte ich einen halben Hörsturz erlitten. Aus den Lautsprechern dröhnten Meatloafs Rock ’n’ Roll Mercenaries in einer Lautstärke, gegen die Miguels Sound ein Flüstern gewesen war. Ob er mein Keuchen darüber gehört hatte, konnte ich nicht sagen, zumindest regelte er sie mit einem Fluch auf ein kaum wahrnehmbares Maß herunter. Einen Moment sah ich zwischen ihm und dem CD-Player hin und her. Okay, die Anlage in Cris’ Porsche war um einiges … edler gewesen, aber das war es nicht. Was mich verblüffte, war der Umstand, dass er Meatloaf hörte. In einer solchen Lautstärke.
Kurze Zeit später und eine CD und mehrere Meilen weiter hatte ich ihn dann damit überrascht, dass ich den Text von Stan Ridgways Camouflage kannte. Das Ganze endete damit, dass wir im Duett »Woah-oh-oh-oh, Camouflage / Things are never quite the way they seem / Woah-oh-oh-oh, Camouflage / This was an awfully strange Marine« zum Besten gaben. Wobei ich mir selbst eingestehen musste, dass er die Töne deutlich besser traf als ich. Dann aber waren wir von der Straße auf diesen nicht vorhandenen Weg abgebogen und mit jeder Meile hatten mich Felsen, Geröll, das Sonnengleißen und die Schatten, die es malte, mehr in ihren Bann gezogen. Was mich selbst erstaunte. Ich liebte das Meer. So beeindruckend ich Bilder von Wüsten oder Regenwäldern manchmal auch fand: Nichts davon hatte mein Herz jemals auf diese seltsame Art zum Schlagen gebracht. Nicht wie das hier.
Und dann war das Dorf im Schatten einer bedrohlich wirkenden
Felsformation in Sicht gekommen. Zuerst waren es nur weiße Umrisse gewesen, die sich an ihrem Fuß zusammenzuducken schienen, doch dann hatten sich mehr und mehr Details aus dem Flirren herausgeschält. Bis schließlich unübersehbar war, dass es sich bei den ›Häusern‹ nur noch um Ruinen handelte.
Was hatte ich denn erwartet? Los Angeles in klein? Disneyland? Das alte Santa Reyada hatte er gesagt. Und hatte er mir nicht erzählt, dass Santa Reyada – das ›neue‹ Santa Reyada – im mexikanisch-amerikanischen Krieg gebrannt hatte? Also irgendwann zwischen 1846 und 1848. Was hätte das hier denn demnach anderes sein sollen als die Ruinen eines verlassenen, alten Dorfs? Verstohlen atmete ich einmal tief durch. Damit stand mir demnach wohl ein Picknick zwischen eingestürzten Mauern bevor. Nun ja. Aber das hier schien ihm wichtig zu sein. Und ich konnte es einfach nicht riskieren, mir seinen guten Willen zu verscherzen.
Wir hielten auf dem Platz in der Mitte des Dorfes neben einem Brunnen, dessen Umrandung in der einen Hälfte bis auf wenige Steine eingebrochen war. Die kleine Kirche auf der gegenüberliegenden Seite erinnerte mich an die in San Isandro. Auch wenn diese hier früher anscheinend nur eine Glocke besessen hatte. Zumindest bevor die Wand halb eingestürzt war. Von ihr war wie durch ein Wunder als Einziges auch noch ein Teil des Daches erhalten. Jedenfalls soweit ich das erkennen konnte. Etwas, das einmal eine Tür gewesen sein mochte, hing auf der einen Seite des Eingangs noch halb in den Angeln. Risse fraßen sich durch ihre weißen Mauern. Und trotzdem standen sie noch. Wie auch die der meisten anderen Häuser.
Ein wenig unsicher schaute ich zu Joaquín hinüber. Das ›Und
jetzt?‹ lag mir auf der Zunge. Ich schluckte es runter. Nicht nur, weil es mir plötzlich unhöflich erschien, sondern auch weil er den Kopf gegen die Nackenstütze gelehnt hatte. Die Augen geschlossen. Die Hände um das Lenkrad gekrallt. Die Arme durchgedrückt. Als habe er meinen Blick gespürt, sah er jetzt zu mir. Ganz kurz
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