Blutbraut
verbiss mir die Frage, ob ich mit dem Ding eventuell für einen kurzen Moment online gehen durfte, um auf meine Weise zu erfahren, was in der Welt vorging. Die Art, wie er mein Lächeln erwiderte, wirkte … unsicher.
Doch dann schien ihm plötzlich bewusst zu werden, dass er das Handy immer noch zwischen Ohr und Schulter hatte. Er räusperte sich, signalisierte mir ›Noch eine Minute‹ und wies dann auf den Tresen und mein Frühstück, ehe er seine Aufmerksamkeit wieder seinem Gesprächspartner zuwandte. Zumindest
teilweise. Seine Augen blieben unverwandt auf mir. Augen, die erneut heller wirkten, als sie es gestern schon getan hatten. Ich rührte mich nicht. Auf seiner Stirn erschien eine scharfe Falte, fragend hob er eine Braue. Wie von selbst stahl meine Hand sich in die Hosentasche, kam mit dem zusammengefalteten Blatt wieder zum Vorschein. Er holte langsam Atem und unterbrach dann ganz offensichtlich, wen auch immer er am anderen Ende der Leitung hatte.
»Kevin, ich bedaure es, unhöflich zu sein, aber ich muss Schluss machen … No, ich werde heute nicht mehr erreichbar sein … Ich bin sicher, Sie schaffen das auch ohne mich, nachdem Sie die Verhandlungen mit den New Yorkern bisher ebenfalls allein geführt haben … Vertrauen Sie auf Ihre eigenen Fähigkeiten. Ich tu’s … Mailen Sie mir einfach Ihren Bericht, wenn die Verträge endgültig ausgehandelt sind … Sí, bis dann.« Den Blick nach wie vor auf mir, beendete er das Gespräch. »Lucinda …«
»Ich wollte nicht stören.«
»Das hast du nicht.« Als könne es bei dem geringsten Stoß zerbrechen, legte er das Handy beiseite. »Lucinda …«
»Geht es um viel Geld?« Ich biss mir auf die Lippe. »Entschuldigung. Es geht mich nichts an.«
»Eine knappe viertel Milliarde. Fürs Erste.«
Ich konnte nicht anders, ich schnappte nach Luft. »Fürs Erste? «, echote ich dann leicht fassungslos, als ich meine Stimme wiedergefunden hatte.
»Ich will an einem der neuen Türme am Ground Zero in New York mitbauen. Und wenn wir den Zuschlag für diesen Auftrag bekommen, stehen die Chancen gut, dass wir auch bei den nächsten mit dabei sind.« Seine Lippen kräuselten sich angesichts
meines unübersehbaren Schocks zu einem Lächeln. Es verging so schnell, wie es gekommen war. »Lucinda, du …«
»Dann bist du Architekt?« Wieder platzte ich einfach so heraus.
»No, leider nicht. Schön wär’s.« Ein Kopfschütteln. »Ich bin nur der mit dem Geld hinter den Architekten. Auch wenn ich von mir behaupten kann, dass ich trotzdem ein klein wenig Ahnung von der Materie habe und mich mit meinen eigenen Ideen manchmal in ihre Arbeit einmische. Wofür sie mich, glaube ich, schon ein paarmal zum Teufel gewünscht haben. – Lucinda, ich will nicht …«
»Wenn es um so viel Geld geht … solltest du dich dann nicht persönlich darum kümmern. Ich meine, du musst nicht … nur meinetwegen …«
»Kevin kann das ganz ausgezeichnet allein. Vermutlich sogar deutlich besser als mit mir. Im Gegensatz zu mir kommt er nämlich wunderbar mit diesen Schreibtischhengsten klar.« Nachlässig zuckte er die Schultern. »Und wenn wir den Auftrag nicht bekommen, dann bekommen wir ihn eben nicht. Für den neuen Turm am Ground Zero hätte ich ohnehin ein Projekt in Dubai absagen müssen, das locker das Doppelte bringt. Wird es das eine nicht, wird es das andere. – Mach dir deswegen keine Gedanken. Es sei denn …« Er wies auf das Blatt Papier in meiner Hand. »Falls du nicht willst … du musst dich zu nichts verpflichtet fühlen. Wenn du … mir nicht mehr über den Weg traust, nach heute Nacht … Ich werde ein Nein akzeptieren …«
»Nein.«
Schweigen. Schließlich ein tiefer Atemzug und ein Nicken. War da eben tatsächlich für eine Sekunde Enttäuschung über
sein Gesicht gehuscht? Lieber Himmel, er hat mich falsch verstanden!
»Nein, ich will, dass du mir das ›alte‹ Santa Reyada zeigst. Heute. – Zumindest sofern es noch nicht zu spät ist.« Die Worte kamen so schnell über meine Lippen, dass ich mich beinah verhaspelte. Er starrte mich an. Eine Sekunde, zwei, drei …
»Okay … Okay, dann …« Wieder ein Atemzug. »Nein, es ist noch nicht zu spät.« Noch während seine Finger über den Touchscreen des Tablet-PCs huschten, rückte er den Stuhl zurück und stand auf. Die schimmernde Oberfläche wurde dunkel. »Lass mich nur schnell zusammenräumen.« Er schob die Papiere so hastig in die Mappen, dass ich mich unwillkürlich fragte, ob da gerade auch
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