Blutbraut
etwas ganz anderes. Es ging nicht einfach nur um eine Abkehr von ihrer ach so heiligen ›weißen‹ Hexerei. Es war ein Bündnis mit der Dunkelheit. – Oder dem Teufel, Dämon; nenn es, wie du willst. – Alles, was sie wollten, war, ihre Familien und Dörfer zu beschützen; zu verhindern, dass Frauen und Mädchen geschändet und dann in ihrem Blut liegen gelassen wurden; dass Felder verheert und Vorräte verbrannt wurden; dass die Ihren im Winter verhungerten, weil man ihnen nichts zu Essen gelassen hatte; dass Kinder nach Mutter oder Vater weinten, weil die auf offener Straße erschlagen worden waren. Sie wollten die Bestien – gleich ob Mensch oder ›Höllenkreatur‹ – von ihnen fernhalten. Egal was es kostete. Die Kräfte, über die sie verfügten, reichten nicht.
Doch im Gegensatz zu ihren Brüdern waren sie bereit, einen Preis zu zahlen, von dem sie damals selbst nicht wussten, wie hoch er tatsächlich war.«
»Sie wussten nicht, dass sie zu … Vampiren werden würden?«
»Oh doch, natürlich. Diesen Teil des Preises kannten sie. Bei Tag Mensch mit noch weitestgehend beschränkten magischen Kräften. Aber einige wenige unter ihnen würden von da an bei Nacht mächtig weit jenseits dessen sein, was die Hexer des Ordre zu tun vermochten. Dafür aber blutgierige Kreaturen, die jede Sekunde in qualvollem Kampf mit der Dunkelheit, die sie dann in sich trugen, und der Gier nach Blut lagen. Nur wenn sie regelmäßig tranken, hielten sie die Gier und die Dunkelheit in Schach. Aber je mehr sie tranken, umso stärker wurde beides, umso mehr wurden sie zu Kreaturen des ›Teufels‹. Aber je öfter sie die Gier nicht beherrschen konnten und ihre Opfer töteten, umso schneller wurden sie Nosferatu. Zu einer jener Kreaturen, vor denen sie die Ihren eigentlich beschützen wollten. Es war ihr Fluch. Ein Fluch, der wie zum Hohn noch nicht einmal jeden traf. Nur die Mächtigsten. Sie zahlten den Preis für alle anderen.« Abermals verzog er den Mund. »Von diesem Teil des Preises war bei ihrem Handel mit dem Teufel allerdings keine Rede gewesen.« Er sah über mich hinweg. »Und als sie eine Möglichkeit fanden, ihre Gier nach Blut zu beherrschen und dem … letzten Schritt ihres Fluches mithilfe derer, die sie liebten – Ehefrauen, Bräute, Mätressen –, zu entgehen, änderte der Teufel die Spielregeln. Gleichgültig wie viel Blut sie tranken, ob sie die Gier beherrschen konnten und ihre Opfer am Leben ließen: Jene, die den Preis für alle zahlen, werden Nosferatu. Die einen früher, die anderen später. Je nach dem, wie mächtig einer ist. Nur seine ›Blutbraut‹
kann ihn davor bewahren. Möglicherweise.« Erneut huschte ein freudloses Lächeln über seine Lippen. »Man sagt, wenn einer von uns in einer Gewitternacht geboren wird, dann ist das ein untrügliches Zeichen dafür, dass er früh Nosferatu werden wird, weil dann der Teufel in Blitz und Donner verborgen lacht.« Sein Blick kehrte zu mir zurück. Ich zwang mich, ihm standzuhalten. ›Sie wollten Macht‹, hatte Tante María immer gesagt. ›Deshalb haben sie sich an den Teufel verkauft.‹ Warum war mir plötzlich trotz der Sonne so kalt? Mit einem kleinen Kopfschütteln sprach er weiter. »Wie auch immer. Der Ordre war bei seiner Jagd auf sie ziemlich erfolgreich. Von siebzehn Familien wurden fünf in den ersten Jahrhunderten komplett ausgelöscht. Die Inquisition war ein Witz gegen die Hexenjäger des Ordre. Auch wenn sie sie teilweise für ihre Zwecke ganz wunderbar benutzen konnten. – No, sie hatten nur die Wahl, den Kontinent zu verlassen und hier von vorne anzufangen oder weiter erbarmungslos verfolgt zu werden. Unglücklicherweise war der Ordre hartnäckiger, als sie erwartet hatten. Sie kamen sogar hierher.«
Ins absolute Nirgendwo. Warum zog das, was er mir hier erzählte, meine Kehle so sehr zusammen? Wer sagte mir eigentlich, dass er nicht log? Ich verdrängte den Gedanken und das irgendwie beklommene Gefühl und räusperte mich. »Was ist passiert?« Ich wandte ihm den Rücken zu, machte einen weiteren Schritt ins Innere der Kirche. Sie war klein. Vielleicht gerade mal halb so groß wie die in San Isandro. Schmale, schießschartenartige Fenster ließen Licht herein. Staub tanzte darin. Der Boden war mit Ziegelbrocken, Sand und Staub bedeckt. Nur ganz vage konnte man die Lehmfliesen darunter erahnen. In der Mitte waren die Trümmer beiseitegeschoben, sodass etwas
wie ein Pfad entstand, der zum Altarraum führte. Vor dem der Boden in
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