Blutbraut
Kaninchenloch. Ein Kaninchenloch, das wild und rau war. Atemberaubend und majestätisch. Und wunderschön.
Einmal zog Joaquín mich überraschend ganz an den Felsen heran und befahl mir, mich langsam zu bewegen, nur um mir dann, als wir an der Stelle vorbei waren, eine Klapperschlange zu zeigen, die im Schatten eines Steines vor sich hin döste. Nein, nicht vor sich hin döste; die uns mit ihren schwarzen Augen beobachtete. Ein paar Meter weiter saß eine Eidechse mit überraschend langem Schwanz auf einem Felsen und ließ sich von der Sonne wärmen. Auf einem der ersten Bäume, an denen wir vorbeikamen – eine Pinie –, entdeckte ich ein Eichhörnchen, das blitzschnell in den Ästen verschwunden war. Nur wenig später lenkte ein »Kijaa-kijaa« meine Aufmerksamkeit nach oben, wo ein Raubvogel seine Kreise zog.
Von dem Hengst und seiner Herde fehlte allerdings jede Spur.
Irgendwann hatte ich die Haare zu einem Zopf zusammengedreht und unter meinen Hut gestopft, um den Nacken frei zu haben.
Mit jedem Schritt schienen sich Farben und Schatten zu verändern, flammten an einer Stelle auf, nur um an einer anderen zu verblassen. Schien anstelle von Felsspalten, die sich eben noch dunkel unter dem harten Gleißen der Sonne in den zerklüfteten Cañon-Wänden abgezeichnet hatten, von einem Moment zum nächsten nur glatter, rauer Fels zu sein. Das Wispern und Raunen des Windes vermischte sich mit dem Rauschen und Tosen von Wasser, das aus einem Riss knapp unter der Felskante in die Tiefe stürzte. Dort, wo der Cañon zu unserer Rechten immer schmaler wurde, seine Wände sich
einander immer weiter näherten, schließlich in einem spitzen Winkel zusammenstießen. Ein weiß-gischtender Vorhang, der beinah direkt aus dem unendlichen Blau darüber zu fallen schien. Und in dem anscheinend auch der flache, kleine Fluss seinen Ursprung hatte, der in seinem Kiesbett vor sich hingurgelte und gerade noch in Sichtweite hinter einer schmalen Felsspitze verschwand. Die von hier aus scheinbar bis in den Himmel zu ragen schien. Senkrecht und schroff. Und an der der Cañon einen scharfen Knick machte, sodass sein Ende nicht zu sehen war. Büsche und Bäume drängten sich am Fuß der Felswand, wuchsen nur an einigen Stellen bis beinah direkt an den Fluss heran. Dazwischen trotzte Gras Sonne, Geröll und sandigem Boden …
Als wir schließlich die Schatten der Felsen erreichten, wich die Grelle schlagartig deutlich angenehmeren Lichtverhältnissen.
Wir hatten den Weg nach unten nicht geschafft, bis die Sonne im Zenit stand. Im Gegenteil. Und inzwischen beklagte mein Magen sich darüber, dass er heute Morgen außer Kaffee und ein paar Stück Ananas kein Frühstück bekommen hatte. Was mir bereits den ein oder anderen amüsiert-nachdenklichen Blick eingebracht hatte. Gerade gab er wieder ein Grollen von sich. Hastig presste ich die Hand auf meine Mitte, um ihn zum Schweigen zu bringen. Joaquín drehte sich halb zu mir um. Diesmal hatte die Art, wie er mich ansah, etwas Abschätzendes. »Kann es sein, dass du heute Morgen nicht wirklich viel gegessen hast?« Sein Hemd hatte mittlerweile deutlich mehr dunkle Flecken und klebte an manchen Stellen an seinem Rücken. Vor allem auf der Seite, auf der er überwiegend den Rucksack trug. Manchmal glaubte ich sein Schwingen-Tattoo durch den Stoff hindurch zu sehen. Bevor ich antworten konnte, hob er
die Hand. »Ich glaube, ich will es gar nicht wissen.« Er deutete hinter sich, auf einen flachen Felsen, der ein Stück weit ins Wasser hineinragte. »Eigentlich wollte ich mit dir noch ein wenig weiter hinein, aber dort drüben sollte es für eine Pause auch recht bequem sein.« Der Zug um seinen Mund veränderte sich. Plötzlich saßen unzählige winzige Fältchen in seinem Augenwinkel. »Schaffst du die paar Schritte noch, oder fällst du mir schon vorher vor Hunger um?«
Den bösen Blick, den ich ihm zuwarf, ehe ich mir den Felsen genauer anschaute, ignorierte er. Eine Pause klang äußerst verlockend. Allerdings war ich mir ziemlich sicher, dass ich nur sehr widerwillig wieder aufstehen würde, sobald ich erst einmal saß. Es machte mir gewöhnlich nichts aus, auch mal längere Strecken zu laufen, wenn es sein musste, aber das hier war eben etwas ganz anderes als die betonierten Straßen einer Stadt. Und ich hatte nicht vor, mir irgendetwas hier entgehen zu lassen. Vor allem nicht die Mustangs.
»Ich würde gerne weitergehen!«
Eine Braue hob sich. »Dein Magen knurrt schon eine ganze Weile. Du
Weitere Kostenlose Bücher