Blutbraut
es verwirrend still zu sein.
Joaquíns Hand nach wie vor an meinem Ellbogen, stolperte ich ein paar Schritte zu einem flachen Felsen, ließ mich darauf fallen und holte mehrmals zittrig Atem. Irgendwie hatte ich immer noch das Bild des Hengstes vor mir. Auf der Hinterhand, die Vorderhufe in der Luft, mit gebleckten Zähnen …
Joaquín kniete sich vor mich. »Bist du in Ordnung? Was ist mit deinen Händen? Zeig sie mir.«
Ich zog sie nur noch näher an mich heran.
Etwas wie ein Schatten huschte über seine Züge. »Ich hätte vorsichtiger sein müssen. Immerhin weiß ich, dass mit ihm nicht gut Kirschen essen ist, wenn er glaubt, seine Herde ist in Gefahr. Und ich bin für ihn inzwischen nun mal nur noch ein anderes Raubtier.« Er schüttelte den Kopf, unübersehbar ärgerlich über sich selbst. »Lo siento.«
Meine Handfläche brannte immer mehr. Ich zwang mich, ruhig zu atmen. Ein. Aus. Ein. »Was heißt das?« Meine Stimme klang dünn.
»Es tut mir leid.«
Also, was ich angenommen hatte. Ich nickte, atmete erneut einmal tief ein und aus. Mit ihm so dicht vor mir war das nicht leicht. »Warum sprichst du so oft spanisch?«
Eine Sekunde erschienen feine Falten auf seiner Stirn. Dann waren sie wieder verschwunden. »Amerikanisch. Spanisch. Für mich ist das gleich.« Er zuckte mit den Schultern. »Als Estéban noch lebte, haben wir auf Santa Reyada eigentlich nur spanisch gesprochen. Und die meisten alten Leute in San Isandro sprechen besser spanisch als amerikanisch.«
»Warum spricht Cris es dann nie? Ich meine, wenn ihr früher zu Hause …«
»Das musst du ihn selbst fragen. Vielleicht weil er ein paar Jahre auf einem Internat war? Auf einem, auf dem ›spanisch sprechen‹ gleichbedeutend war mit ›Latino‹ und ›minderwertig‹, um nicht zu sagen ›Abschaum‹? Und mit hell gefärbten Haaren geht Cris problemlos als ›Weißer‹ durch.«
»Was ist mit dir?«
»Ich lege es erst gar nicht darauf an.«
»Warst du auf derselben Schule?«
»Ich war auf gar keiner.«
Es gelang mir nicht, meine Verblüffung zu verbergen.
Er verzog den Mund. »Ich hatte Privatlehrer. Estéban wollte das Risiko nicht eingehen, seinen kostbaren Erstgeborenen aus dem Haus zu lassen.« Jedes Wort triefte vor bitterem Spott. »Erst als …« Die Winzigkeit eines Zögerns. Beinah sah es aus, als wolle er die Hand zur Faust schließen. Stattdessen presste er sie flach auf seinen Oberschenkel. »Erst später habe ich es durchgesetzt, dass ich zur Universität durfte. Die hier«, er drehte die Arme, zeigte mir die Tätowierungen auf den Innenseiten, »waren der Preis dafür.«
Ich verschränkte die Finger ineinander, weil ich sonst die Hände danach ausgestreckt hätte. Zum ersten Mal sah ich sie richtig, konnte ich sie in Ruhe betrachten. Ich erkannte einige der Zeichen als Siegel, die anderen … wirkten … düster, bedrohlich. Sie waren nicht nur in Schwarz gestochen, auch wenn diese Farbe dominierte, sondern auch in einem dunklen Blau, das ebenfalls nahezu schwarz wirkte, in einem ebenso dunklen Grün und in einem Rot, das fast wie Blut aussah. Bei einigen waren zwei oder mehr Symbole regelrecht ineinander
verwoben. Und da war auch das ›halbe‹ Tattoo, das ihn laut Cris mit Rafael verband und dem Zugriff auf seine Macht gab.
»Was bewirken sie? Und … wieso waren sie der ›Preis‹, dass du gehen durftest?«
»Es sind Schutzsiegel. Sie machen weitestgehend immun gegen Beherrschungszauber und Ähnliches.« Wieder war da dieser Schatten auf seinen Zügen, nur dass er diesmal länger blieb. »Und ganz nebenbei hat Estéban mich damit … ›gekennzeichnet‹. Als seinen Sohn, seinen Erben. Sein … Eigentum. Jeder, der auch nur halbwegs eingeweiht war, wusste, wer ich war. Und was ihn erwartete, wenn er auch nur mehr als ›Piep‹ gegen mich sagte. Diese ewige, elende Duckmäuserei war mir … ähh! – Die Gelegenheiten, bei denen ich seitdem in der Öffentlichkeit etwas getragen habe, das keine langen Ärmel hatte, kannst du an einer Hand abzählen.« Mit einer beinah abrupten Bewegung richtete er sich von den Knien auf und ging den Rucksack von dort holen, wo er ihn zuvor fallen gelassen hatte.
Schweigend sah ich ihm nach. Und wieder ein Teil in dem Puzzle, das Joaquín de Alvaro hieß. Ob es ihm bewusst war?
Er kam zu mir zurück, stellte den Rucksack neben mir auf den Stein und beugte sich abermals zu mir. »Ist wirklich alles in Ordnung? Du bist noch immer weiß wie ein Laken«, fragte er noch
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