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Blutbraut

Blutbraut

Titel: Blutbraut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lynn Raven
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und noch immer keine Spur von der Herde zu sehen gewesen war. Alles, was wir fanden, waren Hufspuren, die mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit von dem Hengst stammten.
    Dafür war der Anblick atemberaubend: Die Wände des Cañons wichen zu beiden Seiten zurück, öffneten sich zu einem Tal, in dessen Mitte sich der Fluss in einem Bett auf Kies, ockerfarbenen Felsen und dem Grün von Büschen und Gras schlängelte. Rechts und links stiegen die Hänge sacht bis zu Felsterrassen hinauf, auf denen sich Bäume und noch mehr Büsche drängten. Erst dahinter wuchsen die Cañonwände wieder senkrecht in die Höhe. Ganz an seinem Ende schien die Sonne auf der Oberfläche eines Sees zu glitzern.
    Joaquín ließ mich meinen Weg überwiegend selbst bestimmen; warum auch nicht, die Richtung war ja klar. Nur manchmal dirigierte er mich auf der anderen Seite um einen Felsen oder Busch herum als der, an der ich ursprünglich daran vorbeigewollt
hatte. Oder rief mich ganz von etwas zurück. Nach der Sache mit der Klapperschlange folgte ich seinen Anweisungen ohne Widerspruch. Die meiste Zeit gingen wir allerdings einfach nur schweigend nebeneinander her. Einfach, weil ich viel zu sehr damit beschäftigt war, die wilde Schönheit um mich herum zu bewundern und zu genießen. Die wenigen Ansätze zu einer Unterhaltung hatten jedes Mal mit einem »Was?« meinerseits geendet, weil ich über alldem hier den Faden verloren hatte. Also ließ Joaquín mich in aller Ruhe staunen. Nur manchmal durchbrach er die Stille zwischen uns, um mich auf etwas aufmerksam zu machen: eine Pflanze, eine besonders schöne Blüte, eine Maserung im Felsen oder einen Schatten, den die Sonne warf. Aber ich konnte seinen Blick immer wieder auf mir spüren.
    Doch dann brachte seine Hand an meinem Arm mich unvermittelt zum Stehen.
    »Da!« Das Wort war nicht viel mehr als ein Bewegen der Lippen. Mit einem Schlag vergaß ich den Felsvorsprung, der für mich wie ein Löwenkopf ausgesehen hatte, und sah in die Richtung, in die er wies. Tatsächlich! Sie waren nur zehn, vielleicht auch zwanzig Meter von uns entfernt. Unwillkürlich hielt ich den Atem an, als könnte ich sie allein durch ein Luftholen aufschrecken. Ein großer Teil war gefleckt, wie der Hengst. Dazwischen gab es aber auch braune mit schwarzer Mähne und Schweif, weiße und falbfarbene. Ein Fohlen döste dicht bei seiner Mutter. Zwei andere tobten buckelnd zwischen den erwachsenen Pferden herum und schienen einander zu jagen. Die meisten wanderten offenbar entspannt umher und weideten. Ein paar standen bis über die Fesseln im Wasser und tranken oder ließen einfach nur den Fluss um ihre Beine gurgeln. Direkt
am Ufer knabberte ein braun geflecktes einem fuchsfarbenen mit beinah vollständig weißem Hinterbein an der Stelle, an der dessen Mähne am Widerrist endete. Zwei andere standen Kopf an Heck, einen Hinterhuf auf der Spitze, und vertrieben sich mit den Schweifen anscheinend gegenseitig Fliegen, während sie wohl gleichzeitig ein Nickerchen machten. Ganz langsam wagte ich es, wieder auszuatmen. Wie viele es wohl waren? Mehr als zehn sicherlich. Aber mehr als zwanzig? Oder sogar mehr als dreißig? Ich konnte es unmöglich sagen. Sie waren wunderschön.
    »Das da ist die Leitstute.«
    Mir wurde erst bewusst, wie nah er mir war, als ich seinen Atem direkt an meinem Ohr spürte. Schlagartig war ich wie erstarrt. Nur am Rande nahm ich wahr, dass er auf ein Pferd mit blassgelblichem Fell wies, das beinah auf der anderen Seite der Herde gerade durch den Fluss watete. Meine Brust hatte sich zusammengezogen. Dann geschah irgendwie alles gleichzeitig. Ich schnappte mit einem hohen Keuchen nach Luft. Joaquín wich mit einem gezischten Fluch von mir zurück. Ein gellendes Wiehern hallte von den Cañonwänden wider. Der Hengst donnerte auf uns zu, stoppte so abrupt, dass Kies spritzte, stieg auf die Hinterhand und wieherte wieder. Hinter ihm stob die Herde davon. Joaquín packte mich am Arm und stieß mich so hart hinter sich, dass ich stolperte und auf Hände und Knie fiel, während er den Hengst auf Spanisch anschrie und die Arme in die Höhe riss. In der nächsten Sekunde hatte auch der kehrtgemacht und jagte hinter den anderen Mustangs her.
    »¡Dios mío! Das wollte ich nicht! Luz, bist du in Ordnung?« Im ersten Moment konnte ich nur wie benommen nicken. Vorsichtig half er mir beim Aufstehen. Meine Handflächen
brannten und mein Hut lag auf dem Boden, aber ansonsten war mir nichts passiert. Um uns herum schien

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