Blutbraut
dass ich es vermutlich eigentlich auch nicht hatte hören sollen.
»Was hat Rafael gebissen, dass er mich mit einer solchen Leichenbittermiene …« Das Lachen auf dem schmalen Gesicht der Frau verblasste, als sie sich Joaquín zuwandte. Selbst hier verstand ich ihr »¡Dios mío!« Natürlich. Fernán hatte mir erzählt, dass er mit einer Sanguaíera verheiratet war. Und das bedeutete, sie sah Joaquín ebenso wie ich. Und offenbar gerade eben zum ersten Mal so.
Der hob eine Braue. »›Joaquín‹ genügt nach wie vor vollkommen, gatita.«
Sie zischte. »Du bist ein solcher Idiot, de Alvaro!«
Ich biss mir auf die Lippe. Wie es schien, kannte sie ihn gut genug, um so mit ihm zu reden. Das Schnauben, das sie ausstieß, stand seinem spöttischen Tonfall in nichts nach. Doch dann ging sie auf ihn zu, ergriff seine ausgestreckten Hände, stellte sich auf die Zehenspitzen und hauchte ihm Küsse rechts und links auf die Wange.
»¡Buenas tardes, Joaquín!« Ihren Schrecken hatte sie offenbar überwunden. Zumindest schien sie keinerlei Angst vor ihm zu haben. Als sie dann zu mir hersah, fühlte ich mich mit einem Mal mehr als unwohl. Und das, obwohl ihr Lachen zurückgekehrt war. »Und du musst Lucinda sein.« Sie ließ Joaquín los
und lief die Stufen herunter. Nein, sie ›sprang‹ sie mehr herunter. Direkt auf mich zu. Ihre kurz geschnittenen, schwarzen Locken wippten bei jedem Schritt. Das knöchellange Kleid wehte um ihre Beine. Alles an ihr war schlank und feingliedrig. Sie war wunderschön.
»Lucinda, meine Frau: Soledad.« Fernán grinste. »Die umgekehrte Vorstellung kann ich mir ja wohl sparen.« Er beantwortete ihren missbilligenden Blick mit einer Kusshand. Sie konnte nur ein paar Jahre älter sein als ich. Vielleicht so alt wie Cris. Allerhöchstens so alt wie Joaquín. An ihren Ohrläppchen blitzten kleine Smaragdtropfen.
Hastig stolperte ich von meiner Liege herunter und richtete mich auf. Mr Brumbles fiel auf den Boden. Das Blut schoss mir in die Wangen, während ich ihn wieder aufhob und hinter mich legte. Plötzlich kam ich mir entsetzlich ungelenk vor.
Wie zuvor Joaquín bei ihr streckte sie mir die Hände entgegen. Dass hinter mir ein Stoffbär, Fotoalben, Kinderzeichnungen und eine Kleine-Mädchen-Schmuckschatulle lagen, schien für sie das Normalste der Welt zu sein. Doch sie hielt erschrocken inne, als sie die Verbände an meinen Händen sah. »Was ist passiert?«
»Ich habe mich geschnitten.« – »Sie hat sich geschnitten«, erklärten Fernán und ich gleichzeitig. Auf der Treppe über uns schloss Joaquín den Mund wieder und schluckte unter, was er hatte sagen wollen. Sie hatte sich zu ihm umgedreht, bedachte ihn mit einem Blick unter gehobenen Brauen heraus, wandte sich dann abrupt wieder mir zu, nahm mich einfach bei den Schultern und hauchte mir ebenso einen Kuss auf die Wangen, wie sie es zuvor bei ihm getan hatte. »Willkommen, Schwester.«
Übergangslos war meine Kehle eng. Eine Sekunde starrte
ich sie an, nachdem sie wieder zurückgetreten war. Doch selbst danach brachte ich keinen Ton heraus. Ich schaffte es gerade eben, mir ein Lächeln abzuringen. Ein verunglücktes, hilfloses Lächeln. Sie nannte mich › Schwester‹. Weil wir beide Blutbräute waren. Und ich würde morgen von hier fortgehen.
Soledad musterte mich, zog die Nase kraus. »Wie hast du dir nur einen solchen Sonnenbrand eingehandelt?« Ihre mandelbraunen Augen blitzten.
»Sie ist in die Sierra gelaufen. Ohne Sonnencreme und Hut, am helllichten Tag.« Rafael kam eben mit Cris ebenfalls aus dem Haus. »Hat Fernán dir nicht erzählt, dass wir diese beiden Süßen hier«, er ließ die Hand auf Joaquíns Schulter fallen, was den sichtlich zusammenzucken ließ, »heute Mittag mit dem Helikopter draußen im Nirgendwo aufgesammelt haben? Nachdem sie die letzte Nacht im alten Dorf zugebracht haben. Weil der Wagen nicht angesprungen ist.« Jedes Wort klang ätzend.
»Schon einmal etwas von ›ärztlicher Schweigepflicht‹ gehört, Rafael?«, ließ Fernán sich vernehmen.
»Das reicht, Rafael.« Nahezu gleichzeitig machte Joaquín einen Schritt zur Seite. Rafaels Hand rutschte von seiner Schulter.
»Und du konntest noch nicht einmal dafür sorgen, dass sie sich keinen Sonnenbrand holt, Joaquín?« Sichtlich verständnislos schüttelte Soledad den Kopf. Ihre Locken tanzten. »Es gibt ja zumindest die Erfindung von Sonnencreme mit hohem Lichtschutzfaktor …«
»Wenn es nach ihm gehen würde, würde er mich in Watte
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