Blutbraut
Kehle war auf diese so vertraute Art eng.
»Ich denke, du wärst jetzt gern mit alldem allein?« Joaquín ließ meinen Arm so langsam los, als sei er nicht sicher, ob ich ohne seinen Halt nicht gleich wieder schwanken würde. Er wies mit dem Kinn zu der Kiste hin. »Soll ich sie dir hinuntertragen? In dein Zimmer?«
Als hätte er gedroht, mir all das wieder wegzunehmen, raffte ich die Kiste hastig an mich, während ich zugleich heftig den Kopf schüttelte. »Nein!« Endlich hatte ich meine Stimme wiedergefunden. Wenn sie auch nur erstickt klang. Ich räusperte mich. »Danke.«
»Jederzeit wieder.« Sein Lächeln hatte etwas Trauriges.
Die Kiste in den Armen drehte ich mich um, wollte zur Tür … und hielt inne, sah auf die überall verspritzten Scherben.
Joaquín schüttelte den Kopf. »Das erledige ich. Ich muss ohnehin noch ein paar Dinge für heute Abend vorbereiten, bevor Fernán und Soledad hier sind.«
Ich biss mir auf die Lippe. »Was passiert heute Abend?«
»Nur ein bisschen Wetterhexerei. Wir brauchen Regen.« Er hob die Schultern, zuckte zusammen, legte abermals die Hand auf die Seite. »Wenn du magst, kannst du zuschauen.«
Ich machte einen Schritt zurück. »Ich … weiß noch nicht.«
»Natürlich.«
Ich nickte, ging zur Tür. Im Rahmen hielt ich inne, drehte mich noch einmal zu ihm um. Er schien sich nicht gerührt zu haben. »Warum Chimo?« Ich umklammerte die Kiste fester.
»Als du zu uns kamst, konntest du ›Joaquín‹ nicht richtig aussprechen. Vielleicht wolltest du es auch aus irgendwelchen Gründen, die nur dir bekannt waren, nicht. Irgendjemand muss dir dann gesagt haben, dass ›Chimo‹ die Koseform von ›Joaquín‹ ist. Von da an war es nur noch ›Chimo‹.«
»Hat dich noch jemand so genannt?«
»Nur du. – Abgesehen von meiner Mutter. Früher. Manchmal. «
Unsicher runzelte ich die Stirn. »Ich kann mich nicht an sie erinnern. Werde … werde ich das noch?«
»Du hast sie nicht gekannt. Sie starb etwa ein halbes Jahr, bevor du zu uns kamst. Aber vielleicht erinnerst du dich an ihren Namen: Juana.«
Zögernd nickte ich erneut. Zumindest glaubte ich, dass ich diesen Namen in meinen Erinnerungen schon gehört hatte.
»Was … ist passiert?«
»Ein Autounfall. Ein paar Leute sprachen aber auch von Mord.«
»Das … Es tut mir leid.« Doch dann runzelte ich die Stirn. »Aber wenn ich sie nicht gekannt habe …? Da war eine Frau, die ihr mit ›Sanguaíera‹ angesprochen habt …?«
»Isabella. Sie war Estébans Sanguaíera. Mehr aber nicht.«
»Er hatte eine Ehefrau und eine Blutbraut?«
»Sí.«
»Ist das denn … möglich?«
»Möglich, sí. Üblich, no. Aber er hat lieber mit jeder Tradition gebrochen, als Mom aufzugeben.«
»Heißt das … er hat sie geliebt?«
»Ich glaube, das trifft es nicht mal ansatzweise.«
»Wie hat deine Mutter das ausgehalten?«
»Er ging nur zu Isabella, wenn er das Blut seiner Sanguaíera brauchte. Und nur dann. Mutter hat ihm vertraut. Er hat dieses Vertrauen nie enttäuscht. Obwohl Isabella Biest genug war, um ihn zu mehr verführen zu wollen.«
»Sie hat mich nicht gemocht.«
»Isabella hat niemanden außer sich selbst gemocht.«
Ich nickte abermals. Dann wandte ich mich um, durchquerte das Atelier und stieg die Treppe hinunter. Die Kiste nach wie vor fest gegen meine Brust gepresst.
30
I ch hatte mich auf eine der Liegen beim Pool geflüchtet. Im Haus war … schon auf dem Weg nach unten waren so viele Erinnerungen über mich hereingebrochen, dass ich es gerade bis zur Treppe ins Erdgeschoss geschafft hatte, bevor ich mich hatte hinsetzen müssen. Anitas Stimme, ihr Lachen, ihr Kopfschütteln, wenn ich wieder einmal ungewaschen und mit schwarzen Rändern unter den Fingernägeln zum Essen gehen wollte; Santos’ Bass, wenn er mich in den Stall zitierte, weil ich irgendeine meiner Pflichten nicht erfüllt hatte … es schien in den Korridoren zu hängen. Nicht, dass ich viele Pflichten hatte, aber Donnie war nun einmal mein Pony. Also hatte ich dafür zu sorgen, dass er alles hatte, was er brauchte. Und Santos hatte ein Auge darauf, dass ich genau das tat. Die oberste Stufe war mir gerade recht gekommen. Bis ich mich daran erinnert hatte, wie oft ich hier gesessen und einen Streit zwischen Joaquín und seinem Vater belauscht hatte. Ich hatte meine Kiste genommen und war aus dem Haus gelaufen. Zuerst ohne zu wissen, wohin. Irgendwann hatte ich am Pool gestanden.
Seit die Sonne untergegangen war, war das Wasser nur noch
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