Blutbraut
wäre mit ihr nur wieder irgendwo draußen unterwegs. Aber sie sind gestern Abend nicht zurückgekommen und auch heute noch
nicht. – Ich habe in ihrem Schrank nachgesehen. Da scheint einiges zu fehlen.«
»Woher willst du das wissen?« Als würde der Bengel den Kleiderschrank des Mädchens so genau kennen.
»Ihre Sachen im Bad sind auch nicht mehr da.«
Das war schon eindeutiger.
»Joaquíns Bilder sind ebenfalls weg.«
Er runzelte die Stirn. »Weshalb sollte er seine Bilder mitnehmen ?«
»Ich habe keine Ahnung.« Es klang, als würde der Junge den Kopf schütteln. »Vielleicht ist er mit ihr ja davongelaufen. Tomás muss Stress gemacht haben …«
Er unterdrückte einen Fluch. Dass die anderen ihn endgültig als Oberhaupt einer eigenen Bruderschaft anerkannten, hing davon ab, ob er ihnen beweisen konnte, dass er tatsächlich über mehr Macht verfügte als sie selbst. Nur brauchte er dazu seinen Enkel. Und nach Möglichkeit auch die Kleine.
»Welchen Wagen hat er genommen?.«
»Den Lamborghini.«
»Wie ist das Kennzeichen?
»6JDA583S, glaube ich.«
»Gut. Beruhige dich, Junge. Ich kümmere mich darum.«
Ein erleichterter Atemzug. »Danke, Großvater.«
Unfähiges Blag. »Ich melde mich, sobald ich etwas weiß.«
Bevor der Junge noch etwas sagen konnte, beendete er das Gespräch. Sein Blick ging zur Tür, hinter der die anderen Nosferatu auf ihn warteten. Er musste diesen elenden Bengel und die Kleine finden, bevor sie seine Pläne ruinierten.
34
D as Meer war ruhig. Schwarz. Scheinbar unendlich. Die Wellen liefen sacht am Strand aus, umspülten seine Füße. Joaquín sah ihnen minutenlang reglos dabei zu. Die Schuhe baumelten lose von seiner Hand. Er war mehr ein Kind der Wüste. Aber Lucinda mochte das Meer.
Es war vorbei. Weder die Hexer der Hermandad noch die des Ordre würden Lucinda jemals wieder aufspüren können. Er konnte gehen. Endgültig.
Warum stand er dann noch hier?
Weil er sich gewisse Dinge anders gewünscht hatte. Nun, inzwischen sollte er wissen, dass Wünsche und Realität zuweilen ziemlich weit auseinanderklafften.
Mit einem kleinen Kopfschütteln ließ er die Schuhe in den Sand fallen. Er sollte endlich tun, weshalb er hier herausgekommen war, wenn er das Ganze bis Sonnenaufgang erledigt haben wollte. Für einen Moment tastete er in seinem Nacken nach dem Verschluss des Kreuzes. Er hatte keine Sanguaíera, der er es geben konnte. Aber er würde nicht zulassen, dass Tomás es für sich beanspruchte. Dann sollte es lieber das Meer haben. Endlich öffnete sich der Verschluss. Das Kreuz lag warm und schwer in seiner Hand. Die schwarzen Steine schimmerten im Sternenlicht.
Als oben an der Straße, wo der Lamborghini parkte, das Geräusch von Motoren erklang, die gleich darauf erstarben, drehte er sich um. Drei Wagen hatten hintereinander an der Leitplanke gehalten. Mehrere Männer stiegen aus, sahen zu ihm her. Zwei davon kannte er aus einer anderen Zeit. Nosferatu. Sie tauschten Blicke, nickten einander zu, setzten sich langsam in Bewegung, kamen über den Strand. Ihr Ziel war eindeutig.
Joaquín verzog den Mund. Eine letzte Jagd? Warum nicht. Wenn er ging, konnte er das auch mit einem Knall tun.
Er schob das Kreuz in die Hosentasche, ging mit einem dünnen, spöttischen Lächeln auf die fünf zu.
35
I ch blinzelte in schwaches Dämmerlicht. Vollkommen orientierungslos.
Unter meiner Wange war etwas Weiches, Seidiges. Ein Kissen. Unter meiner Hand … eine Decke.
Langsam öffnete ich die Augen endgültig. Mein Blick fiel auf Linien aus Licht. Ein geschlossener Fensterladen. Nein, kein Fenster, eine Tür. Glas. Bis unter die Decke. In der Ecke schimmerte ein Spiegel. Zum Kippen.
Ich lag auf der Seite. Auf einem Bett. Vollständig angezogen. Sah man von meinen Füßen ab. Die waren nackt. Wenn ich den Kopf ein wenig drehte, konnte ich das Fußende des Bettes sehen. Eisen. Nein, dazu war es zu grau. Edelstahl. Der matte Glanz würde passen.
Es war warm.
Ich fühlte mich, als hätte ich sehr lang geschlafen. Sehr, sehr lange.
Einen Moment schloss ich die Augen, presste die Lider zusammen, öffnete sie wieder. Das hier war nicht Santa Reyada.
Wo bin ich?
Wie komme ich hierher?
Was ist passiert?
Joaquín hatte mich nach Los Angeles zum Flughaf…
Von einer Sekunde zur nächsten saß ich senkrecht. Dieser elende Mistkerl hatte mir auf diesem Parkdeck ein Tuch über Mund und Nase gedrückt, das mit Chloroform oder etwas Ähnlichem getränkt gewesen war. Ein Ziehen an
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