Blutbraut
mehr gesehen. Übers Handy ist er auch nicht zu erreichen. Erst ist er nicht rangegangen, jetzt ist es aus. Bis zu deinem Anruf vorhin dachten wir, ihr beide wärt zumindest zusammen …«
Ich schüttelte den Kopf, ehe mir klar wurde, dass er es nicht sehen konnte. »Nein … nein, er ist nicht bei mir.« Wann war er von hier fortgegangen? Und wohin? Warum war er nicht nach Santa Reyada zurückgefahren? Oder war irgendetwas auf dem Weg dorthin geschehen? Ein Unfall? Nein, Rafael und Cris hatten bestimmt schon jede Notaufnahme in der Umgebung abtelefoniert. Von einem Unfall hätten sie gewusst. Was dann?
Ein heftiger Atemzug. »Dann sag mir wenigstens, wo du bist. Immerhin hast du ihn ja anscheinend zum letzten Mal gesehen. Vielleicht finde ich ja dort irgendeinen Hinweis …«
Mein Magen verkrampfte sich. Joaquín hatte dafür gesorgt, dass man dieses Apartment nicht zu ihm zurückverfolgen konnte, dass es keine Verbindung zwischen meinem neuen Leben und ihm gab, und ich dumme Kuh hatte nichts Besseres zu tun, als mit Rafael zu telefonieren. Minutenlang.
»Ich melde mich wieder.«
»Lucinda, nein! Nicht aufl…«
Ich drückte ihn weg, ließ das Handy sinken, starrte darauf. Rafael hatte keine Möglichkeit, diesen Anruf zurückzuverfolgen, mich hier aufzuspüren, oder? Nein, die Polizei möglicherweise schon, aber Rafael nicht. Nein.
Keine Minute später machte ich einen Satz auf dem Sofa, als das Handy in genau dem Moment losbimmelte, in dem ich es auf den Tisch zurücklegen wollte. Um ein Haar hätte ich es fallen lassen. Meine Hand hatte schon zuvor gezittert, doch jetzt … Auf dem Display prangte ein ›unbekannter Anrufer‹. Eigentlich dürfte nur einer diese Nummer kennen. Trotzdem hob ich es ans Ohr, als könnte es mich beißen.
»Joaquín?«
»Nein. Rafael.« Sein Ärger war absolut nicht zu überhören. Erschrocken schnappte ich nach Luft. Wie hatte er …? »Lucinda, wenn du wieder einfach auflegst, werde ich noch viel mehr tun, als nur diese verdammte Handynummer herausfinden. Ich schwöre dir, dann stehe ich vor deiner Tür.«
Das Zittern hatte sich bis zu meinem Magen ausgebreitet. »Was willst du?«
»Ich versuche, meinen Freund zu finden, und ich will, dass
du mir dabei hilfst, nachdem du anscheinend die Letzte bist, die ihn gesehen hat. Danach lasse ich dich in Ruhe.«
Ich holte einmal tief Luft, nickte dann. »Okay.« Das klang fair. »Solange du mich nicht wieder fragst, wo ich bin.« Er hatte in kürzester Zeit die Nummer dieses Handys herausgefunden – wie auch immer er das angestellt hatte –, glaubte ich tatsächlich, er könnte nicht auch ebenso schnell herausbekommen, wo ich war?
»In Ordnung. Deal! – Wohin ist Joaquín vor drei Tagen mit dir gefahren?«
»Nach Los Angeles.« Ich biss mir auf die Lippe. Und dann weiter nach San Francisco.
»L.A. ist groß. Geht das genauer?«
»Du hast gesagt …«
»Bitte, tigresa, nur ein klein wenig genauer.«
Ich umklammerte das Handy fester. »Ich weiß es nicht. Ich habe nicht wirklich auf die Straßenschilder geachtet. Er hat gesagt, er fährt mich zum Flughafen, aber er ist ein paarmal in die entgegengesetzte Richtung abgebogen.«
»Wie lange … – warte mal. Bleib dran! Nicht wieder auflegen! « Rascheln. Gedämpfte Stimmen. Abermals Rascheln. Dann klang es, als würde Rafael mit noch jemandem an einem anderen Telefon reden. Auf Spanisch. Mit Joaquín? Plötzlich klopfte mir das Herz in der Kehle. Doch sosehr ich mich auch bemühte, ich konnte nichts verstehen. Bis Rafael sehr laut und sehr deutlich »Fuck!« sagte. Erneut Worte auf Spanisch. Beinah hörte es sich an, als würde er Anweisungen geben. Dann drang seine Stimme wieder deutlich zu mir. »Lucinda, bist du noch – ?«
»War das Joaquín? Was ist passiert?«
Stille.
»Rafael! Sag’s mir!« Waren das Schritte im Hintergrund? Seine? Wenn, dann hatte er es eilig.
»Das war Jorge. Sie haben Joaquíns Wagen gefunden. – Warte mal.« Seine Stimme wurde gedämpft, als hielte er die Hand über das Handy. »Nein. Einer von uns muss hierbleiben, Cris. Ich gehe allein.« Dann war sie wieder laut. »Bist du noch da, Lucinda?«
»Sie? Wo? Und Joaquín?« Meine Mund war schlagartig trocken.
»Jorge und seine Männer. In einem der Außenbezirke von Los Angeles. Von Joaquín keine Spur.« Etwas in seiner Stimme hatte sich verändert. Sie klang härter, schärfer, geradezu … zornig. Und irgendwie hatte ich das Gefühl, dass dieser Zorn mir galt.
»Was noch?«
»Was?«
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