Blutbraut
Zähne am Hals meiner Blutbraut.« Sein Ärger wurde zu dumpfer Wut. Unter der noch etwas anderes lag. Etwas, das sich ähnlich anfühlte, wie die Bösartigkeit und der Wahnsinn, die er inzwischen Nacht für Nacht am Rand seines Verstandes spürte. Gefährlich ähnlich. Das Glas mit dem restlichen Scotch knackte in seiner Hand. Er musste sich dazu zwingen, den Griff zu lockern, bevor es brechen konnte.
»Du hattest dennoch kein Recht …«
»Wie war das?« Joaquín fletschte die Zähne. »Ich hatte kein Recht?« Elender Hurensohn! »Ich hatte kein Recht?« Sein Säuseln war zugleich ein Knurren. »Niemand legt Hand an Lucinda Moreira und kommt ungeschoren davon. Niemand.« Er lehnte sich ein wenig weiter vor, fixierte Tomás mit schmalen Augen. »Sie war an Händen und Füßen gefesselt. Geknebelt. Sie haben sie geschlagen. Im Keller eingesperrt. Im Dunkeln. Sie hat geschrien vor Angst. Dieser kleine Bastard wollte ihr die Zähne in den Hals schlagen.« Die goldbraune Flüssigkeit schwappte
in seinem Glas. »Und du erzählst mir, ich hatte kein Recht?« Mistkerl. »Ich hatte jedes Recht!« Eine Sekunde hielt er Tomás’ Blick noch mit seinem fest, dann kippte er den Rest Scotch in einem Schluck hinunter, drückte sich aus dem Sessel hoch und ging zu dem Tischchen hinüber, goss sich erneut ein. Deutlich mehr als einen Doppelten. »Und nur fürs Protokoll …« Er drehte sich nicht um. »Auch Rogier selbst ist einzig deshalb noch am Leben, weil Lillian schwanger ist.«
»Das Mädchen ist vor dir davongelaufen, Joaquín. Sie hatte sich im Kofferraum von Nestores Wagen versteckt, als er und Rogier gestern hier waren.« Bartolomé schien zwischen zusammengebissenen Zähnen hindurchzusprechen.
»Das behauptet Rogier.«
»Sie wurde im Garten der Villa aufgegriffen, die Rogier für die Zeit des Reunión in San Diego gemietet hat.« Tomás schnaubte. »Wenn sie dich nicht will, musst du sie uns übergeben. «
Träum weiter! »Rogier wusste, zu wem sie gehört. Er hätte sie zu mir zurückbringen müssen.« Er nahm einen weiteren Schluck Scotch. Das Brennen war mit jedem weniger ausgeprägt. »Solange sie sich nicht offen gegen mich ausspricht und sich von mir lossagt, hat niemand außer mir ein Anrecht auf sie.« Allerdings vertrug sich das Alprazolam nicht mit Alkohol. Schade. Noch nicht einmal bis zur Bewusstlosigkeit betrinken konnte er sich. Zumindest nicht, wenn er nicht der Bestie freien Lauf lassen wollte. Er starrte in die schimmernde Flüssigkeit. Niemals! Zumindest nicht vor Luz! Wäre er allein gewesen, hätte er das Glas gegen die Wand geworfen. Schlimm genug, dass sie ihn in der ersten Nacht so gesehen hatte. Seine Finger schlossen sich für eine Sekunde fester um das Glas. »Und selbst
wenn sie sich gegen mich ausspricht, hat die Hermandad keine Rechte an ihr.«
Bartolomé zischte. »Die Hermandad hat …«
»Schau dir die Papiere genau an. Sie wurde ausdrücklich meiner Familie übereignet. Die Hermandad war nie Teil dieses Handels. – Cris oder ich. Wenn sie keinen von uns will, ist sie frei.«
Zorniges Schweigen. Wenn es um Verträge ging, hatte Estéban dem Teufel das Wasser reichen können. In einem stummen Salut an seinen Erzeuger hob er sein Glas.
Ruiz räusperte sich. »Und wann gedenkst du, sie zu deiner Blutbraut zu machen?«
»Wenn sie so weit ist.« Also nie.
Wieder Schweigen. Doch diesmal war etwas daran anders. Lauernd. Als würden sie hinter seinem Rücken Blicke tauschen.
»Lillian hat dich vergangene Nacht gesehen, Joaquín.«
Er sah weiter gegen die Wand. Jetzt kam Tomás zum eigentlichen Punkt. Hatte er mit etwas anderem gerechnet? Nein. Wenn er ehrlich war, hatte er irgendwie sogar darauf gewartet. Verdammte Bastarde. Dass Lillian Rogier – und damit dem Rest der Hermandad, allen voran seinem eigenen Konsortium – mitteilen würde, wie weit er schon war, war so sicher gewesen, wie jeden Tag die Sonne unterging.
»Ihre Beschreibung war eindeutig: farblos glitzernde Augen, Fänge, schwarze Krallen anstelle der Fingernägel, schön wie der Teufel selbst.« Er konnte hören, wie Tomás sich auf den Sessel niederließ, in dem er selbst bis eben gesessen hatte. »Wie hat sie gesagt? Ach ja: ›Näher dran, endgültig Nosferatu zu werden, kann ein Hexer der Hermandad gar nicht sein.‹« Und in solchen Fällen galt eine Blutbraut als unfehlbar.
»Wie lange hältst du uns schon zum Narren, Joaquín? Lass den Illusionszauber fallen. Zeig uns, wie weit du auch bei Tag schon
Weitere Kostenlose Bücher