Blutbraut
unterbrach mich.
»… nicht sehen? – Das erkläre ich dir später.« Er nickte seinem Bruder zu. »Ich verlasse mich auf dich, Cris.« Seine Stimme klang mit einem Mal angespannt.
Cris wandte sich mir zu, als wäre sein Bruder von einem Wimpernschlag zum nächsten nicht mehr im Raum, und
streckte mir die Hand hin. »Komm, ich zeige dir Santa Reyada bei Tag. Du wirst staunen …«
Unsicher schaute ich zu ihm. Ein neuerliches Pochen.
»Geht schon!«
Seltsam zögernd durchquerte ich das Wohnzimmer – ich konnte selbst nicht verstehen warum – und ergriff Cris’ Hand, ließ mich von ihm in die Halle und zur Küche ziehen. Als ich mich noch einmal umdrehte, hatte er beinah die Haustür erreicht. Eben sah er zu uns zurück, legte die Hand auf die Türklinke. Wieder ein Pochen. Nachdrücklicher dieses Mal. Er öffnete noch immer nicht. Stattdessen nickte er in einem wortlosen »Geh!« in Richtung der Küche. Im nächsten Moment hatte Cris mich außer Sicht gezogen.
10
J oaquín, hörst du überhaupt zu?«
Nicht wirklich. Das Einzige, was ihn interessierte, war das Mädchen, das da draußen bei seinem Bruder war. Nicht bei ihm; bei seinem BRUDER!
»Was wollt ihr eigentlich in Wahrheit hier? Kommt zum Punkt!« Joaquín stieß sich von der Schreibtischkante ab, an der er die ganze Zeit rücklings gelehnt hatte, ging quer durch das Arbeitszimmer zu dem kleinen Tischchen, auf dem Karaffen und Gläser standen.
Schweigen.
Natürlich. Eine Sekunde zuckte bitterer Spott um seinen Mund, während er sich einen Scotch eingoss. Sie waren nicht gekommen, um ihm mitzuteilen, dass die kleine Sophia trotz aller Bemühungen bisher nicht gefunden worden war. Kaum älter als sieben oder acht war sie gewesen. Wie all die anderen Mädchen vor ihr, die in den letzten zehn, fünfzehn Jahren verschwunden waren. Ebenso spurlos.
Sie waren nicht hier herausgefahren, um ihm zu berichten, dass man eine weitere Leiche in seiner Domäne gefunden hatte, eine junge Frau, die eindeutig auf das Konto der Nosferatu ging. Und dass es reines Glück gewesen war, dass seine Leute sie vor allen anderen entdeckt hatten – weil es offenbar jemanden
gab, der neuerdings bei solchen Gelegenheiten sowohl die Aasgeier von der Presse als auch die Cops mit einem Tipp versorgte. In dieser Reihenfolge.
Oder um ihn wissen zu lassen, wie ungehalten die anderen Patrones darüber waren, dass er gestern nicht zu dem Treffen erschienen war – und keinen Hehl daraus machte, dass er auch an den folgenden Tagen nicht zu erscheinen beabsichtigte.
Das Glas nachlässig zwischen drei Fingern, schlenderte er zu einem der Sessel auf der anderen Seite des Raumes, ließ sich auf das weiße Leder sinken und hob eine Braue, während er dann von einem zum anderen sah. »Also?« Er nahm einen Schluck. Der Scotch brannte seine Kehle hinunter. Zumindest Ruiz hatte den Anstand, betreten dreinzuschauen. Wie hatte ein Mann wie er es eigentlich geschafft, inmitten all dieser Hyänen so lange zu überleben? Zugegeben, Ruiz Moraga war mächtig, so wie die meisten Hexer aus seiner Familie es gewesen waren. Aber ihm fehlte die Bereitschaft, über Leichen zu gehen, die die übrigen Mitglieder dieses Konsortiums auszeichnete. Nein, die genau genommen eigentlich die gesamte Hermandad auszeichnete.
»Man beschuldigt dich des Mordes an einem Mitglied der Hermandad.« Tomás. Wer sonst.
In höhnisch geheuchelter Verblüffung legte er den Kopf schief, ließ den Rest des Scotchs im Glas kreisen. »An nur einem?«
»Das ist nicht witzig, Joaquín.« Bartolomé Ferrado setzte sich ihm gegenüber auf einen Sessel.
Heuchler! »Lache ich?«
»Joaquín …«
»Was, Tomás? – Komm zum Punkt. Du stiehlst mir meine Zeit.« Gott, er war diese Spielchen so leid.
»Die Sache ist ernst. Rogier fordert, dass du zur Verantwortung gezogen wirst.« Tomás kam ebenfalls herüber, trat hinter Bartolomés Sessel, schüttelte geradezu angewidert den Kopf. »Herr im Himmel, du hast ein Blutbad angerichtet; einem vielversprechenden jungen Hexer grundlos regelrecht die Kehle herausgerissen …«
Er beugte sich vor. »Grundlos?« Das Wort war nur ein Zischen. Der Ärger war in seiner Stimme nicht zu überhören. Bartolomé versteifte sich in seinem Sessel, schob sich sogar ein Stück weit darauf zurück. Tomás sprach ungerührt weiter.
»… auch wenn Paul mit Rogier nicht blutsverwandt war, hat er doch zu seiner Familie gehört. Er stand ebenso unter dem Schutz des Gastrechts …«
»Er hatte die
Weitere Kostenlose Bücher