Blutbraut
»Okay«.
Ich umklammerte meine Gabel und versuchte mir gleichzeitig
einen Reim auf das zu machen, was ich von diesem Gespräch mitbekam. Erfolglos.
»Im Wohnzimmer. Wir sehen fern«, meinte er mit einem Mal unvermittelt. Ich hielt den Atem an. Cris zwinkerte mir zu und wies dabei auf die Menschen um uns herum. Also hatte Joaquín den Straßenlärm und die Stimmen im Hintergrund gehört. »In Ordnung. Bis dann.« Er drückte das Gespräch weg.
»Was ist?« Der Spinat war mir von der Gabel gefallen. Ich schob ihn unruhig auf meinem Teller hin und her.
»Joaquín rechnet nicht damit, vor Mitternacht zu Hause zu sein«, erklärte er mir, nachdem er das Handy in die Hosentasche zurückgeschoben hatte. »Er will sich selbst um die … noch ein paar Dinge kümmern.« Ein Grinsen erschien auf seinen Zügen. Es war reiner Triumph. »Wir haben also noch den ganzen Nachmittag und Abend.«
Beklommen nickte ich. Irgendwie fühlte das alles hier sich gerade noch falscher an, als es das auf der Fahrt hierher schon getan hatte.
Cris beugte sich vor, ergriff meine Hand quer über den Tisch hinweg. »Was ist? Alles in Ordnung?«, erkundigte er sich, plötzlich besorgt.
»Nichts.« Ich zwang mich zu einem Lächeln, schüttelte den Kopf, wich seinem Blick aus.
Eine Sekunde musterte er mich, eine kaum sichtbare Falte zwischen den Brauen, ehe er unvermittelt meine Hand drückte. »Weißt du, was?« Er lehnte sich noch weiter vor. »Meinetwegen soll Joaquín mir morgen den Kopf abreißen: Heute bekommst du eine richtige Geburtstagsparty.«
»Was?« Jetzt sah ich ihn doch an. Nein, ich starrte ihn an.
Cris hob die Schultern. »Ganz abgesehen davon, dass ich ihm ohnehin nichts recht machen kann …«
»Cris … ich … ich weiß nicht, ob das so eine gute …«
»He! Was uns nicht umbringt, macht uns nur noch härter. Es wäre nicht das erste Mal, dass er mich wegen etwas, das ich getan oder nicht getan habe, zur Schnecke macht. Genau genommen ist das seit Vaters Tod sowieso sein absoluter Lieblingssport. Also was soll’s.« Sein Grinsen war zurückgekehrt. Abermals drückte er meine Hand. »Lass mich kurz telefonieren, okay? Mit ein paar Leuten reden …« Er wollte meine Hand loslassen, aufstehen. Hastig hinderte ich ihn daran. Doch er ließ mich gar nicht erst zu Wort kommen. »Lass mir den Spaß, ja? Und mach dir keine Sorgen. Joaquín kann nicht mehr tun als mich anschreien. Wenn er richtig loslegt, wackeln zwar die Wände, aber ich habe bisher noch jeden seiner Anfälle überlebt. « Sein Daumen glitt zärtlich über meinen Handrücken, dann machte er sich endgültig von mir frei. »Entschuldige mich für …«
»Nein!« Hastig schob ich meinen Stuhl zurück, bevor er tatsächlich aufstehen konnte. Von den Nachbartischen her wurden uns Blicke zugeworfen. Wir erregten gerade eindeutig zu viel Aufmerksamkeit für meinen Geschmack. »Bleib! Ich wollte sowieso kurz …« Ich wies mit dem Kopf ins Innere des Restaurants.
Cris verharrte in der Bewegung. »Soll ich dich …?«
Begleiten? Mir schoss das Blut in die Wangen. »Nein!«
Er zögerte, sank schließlich doch wieder auf seinen Stuhl zurück. »In Ordnung.«
Trotzdem hatte ich das Gefühl, als würde er mich nicht aus den Augen lassen, bis ich aus seinem Blickfeld heraus war. Ein
Kellner wies mir mit einem Nicken unauffällig den Weg zu den Toiletten.
Meine Hände fühlten sich klamm an, als ich sie kurze Zeit später unter den kalten Wasserstrahl hielt. Außer mir war niemand hier. Zum Glück. Ich sah in den Spiegel über dem Waschbecken. Keine farblos glitzernden Augen, die zurückstarrten. Es war falsch, dass Cris seinen Bruder meinetwegen anlog; meinetwegen einen Streit mit ihm riskierte. Ich wollte das alles nicht. Und ich brauchte auch keine Geburtstagsparty. Seit Tante Marías Tod hatte es so etwas nicht für mich gegeben und davor … auch nicht. Warum also heute? Ich würde ihm einfach sagen, dass ich keine Party wollte. Oh, natürlich fühlte es sich gut an, dass er alles tat, um mir einen schönen Tag zu bereiten. Aber nicht um diesen Preis. Ich drückte die Hände in das Handtuch, schloss für einen Moment die Lider.
Ich wollte das alles einfach nur hinter mich bringen, meinen Teil des Handels mit ihm erfüllen und dann fortgehen. Irgendwohin, wo mich keiner fand. Auch wenn das bedeutete, dass ich Cris aufgeben musste. Allein der Gedanke tat nach wie vor auf eine seltsam dumpfe Weise weh. Aber passte ich überhaupt in sein Leben? Ein Leben mit einer
Weitere Kostenlose Bücher