Blutbraut
zurück. Ein Mönch in einer grauen Soutane folgte gerade zwei Frauen aus der Kirche heraus. Auf der Treppe blieben sie stehen, sprachen miteinander. Die jüngere der Frauen legte den Arm tröstend um die ältere. Für einen Moment sah der Priester zu uns herüber, nickte mir zu. Er war verblüffend jung. Auch die jüngere der Frauen wandte sich nach uns um. Die Art, wie sie mich anschaute, war weniger freundlich. Cris zog mich unter den gelben Blüten hindurch, schob mich vor sich. Und legte mir die Hände über die Augen. Ich konnte das erschrockene Keuchen nicht unterdrücken.
»Es tut mir leid, Lucinda«, sagte er direkt neben meinem Ohr. Schlagartig verkrampfte sich alles in mir. Ich umklammerte seine Handgelenke, zog daran. Er dirigierte mich weiter, schien es gar nicht zu merken. »Aber ich fürchte, ich war nicht
ganz ehrlich zu dir.« Plötzlich war mein Mund vollkommen ausgedörrt. Ich schluckte hilflos. Das konnte nicht sein.
»Cris, bitte …« Ich brachte die Worte kaum heraus, viel zu leise, als dass er das Wimmern in ihnen hätte hören können.
Er blieb stehen, ließ mir keine andere Wahl, als ebenfalls anzuhalten. »Cris …«, setzte ich erneut an.
Im selben Moment nahm er die Hände herunter. »Happy Birthday, Lucinda.«
Eine Sekunde stand ich wie erstarrt, betrachtete den Tisch – nein, die Tische, die unter den Bäumen in einem kleinen Innenhof gedeckt waren. In den Zweigen schaukelten bunte Lampions. Vor einem breiten Durchgang, der diesmal wohl tatsächlich ins Innere eines Hauses führte und in dem ein Hüne von einem Mann lehnte und mit vor der Brust verschränkten Armen zu uns hergrinste, waren Teller und Platten mit allen möglichen Köstlichkeiten aufgebaut: Tapas, Enchiladas, Tortillas, Schüsseln mit Salat, Schalen mit eingelegten Oliven und Peperoni; was in einer großen Pfanne dampfte, konnte – zumindest nach dem, was ich darauf zu erkennen glaubte – nur eine Paella sein; an einem Tontopf perlten feine Wassertröpfchen; Brot; Kuchen … Dahinter lächelte uns eine zierliche, dunkelhaarige Frau entgegen. Der Junge vom Brunnen schob sich gerade eine eingelegte Olive in den Mund und grinste von einem Ohr zum anderen. Irgendwie beklommen drehte ich mich zu Cris um.
Er zwinkerte mir zu, lachte. »Ich hoffe, du verzeihst mir die kleine Flunkerei, dass es keine Party geben würde.«
Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Für ihn mochte das Ganze ein wahnsinniger Spaß sein – mir war vor Angst beinah schlecht geworden. Seine Worte … dass er mir ohne Vorwarnung
die Augen zugehalten hatte … Mein Herz schlug immer noch wie verrückt.
Vielleicht verriet ihm etwas in meinem Gesicht, dass seine Überraschung – oder zumindest wie er sie präsentiert hatte – nicht ganz so angekommen war, wie er sich das vorgestellt hatte, denn sein Lachen endete ziemlich abrupt. Aber noch bevor einer von uns etwas sagen konnte, kam die junge Frau ein wenig zögerlich auf uns zu. Der Hüne aus der Tür folgte ihr. Ich schluckte runter, was mir auf der Zunge lag, und zwang mich, zu lächeln. Immerhin hatte offensichtlich sie das alles hier vorbereitet. Demnach hatte sie es am allerwenigsten verdient, dabei zu sein, wenn ich meiner Angst und meinem Ärger freien Lauf ließ und Cris sagte, was ich von seiner Aktion gerade eben hielt.
»¡Feliz cumpleaños, Sanguaíera!«, irgendwie klang sie ein bisschen unsicher, doch dann, nach einem kurzen Zögern, umarmte sie mich plötzlich und hauchte mir einen angedeuteten Kuss rechts und links an der Wange vorbei. »Und herzlich willkommen. « Als sie zurücktrat, war ihre Unsicherheit von zuvor wie weggewischt. »Ich bin Elena. Und das ist Lorencio, mein Mann.« Sie wies auf den Hünen, der jetzt dicht hinter ihr stand. Auch er umarmte mich; vorsichtig, so, als hätte er Angst, mich zu zerdrücken, wünschte mir wie Elena: »¡Felicidades, Sanguaíera!«, gab mich nach zwei angedeuteten Küssen ebenfalls wieder frei und machte einen Schritt zurück.
Elena schob den Arm durch seinen, lehnte sich an ihn, während sie gleichzeitig mit dem Kopf hinter sich wies. »Und der verfressene Bengel ohne Manieren da hinten ist mein Neffe, Lino.« Sie drehte sich halb zu dem Jungen um, sagte etwas auf Spanisch zu ihm, worauf er noch immer grinsend an uns vorbeischoss und hinter uns im Durchgang verschwand. Nicht
ohne sich zuvor noch eine eingelegte Peperoni aus der Schale gepickt zu haben.
Ich räusperte mich. In meinem Hals saß ein riesiger Knoten. »Mein Name ist
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