Blutbraut
Lorencio, der dafür sorgte, dass alle stets mit Getränken versorgt waren – ich erkannte sie von meiner Entführung in Boston wieder. Etwas, das ihnen, so wie sie sich räusperten, leicht unangenehm war.
Irgendwann sank Elena auf den freien Stuhl links von mir, den erstaunlicherweise bisher noch niemand für sich beansprucht hatte. Inzwischen brannten die Lampions in den Zweigen
der Orangenbäume. Lorencio hatte sogar an den Säulen, die das Gewölbedach der Außenmauer trugen, die altertümlich anmutenden Fackeln in den schweren schmiedeeisernen Haltern angezündet. Elena hatte ein kleines, in Seidenpapier eingewickeltes Päckchen in den Händen, das sie beinah übertrieben sorgfältig vor mich auf den Tisch legte.
»Das soll ich dir von Luisa geben. Es tut ihr sehr leid, dass sie nicht kommen kann.« Sie schob es mir ein wenig mehr zu. »Ich musste ihr versprechen, ihr ganz genau zu berichten, was du dazu sagst. Wie es dir gefällt. – Mach es auf!«
Was auch immer sich im Inneren des Päckchens verbarg, war weich. Behutsam wickelte ich das Papier ab … und hielt die Luft an: Ein Schultertuch aus schwarzer Spitze kam zum Vorschein. Mit Fransen, die wie ein Wasserfall aus Seide durch meine Finger flossen. Es erinnerte mich an das Tuch, das Rosa auf dem Porträt getragen hatte.
»Es ist wunderschön. Vielen Dank!« Mehr brachte ich nicht heraus. Vorsichtig legte ich es mir um die Schultern, strich erneut bewundernd mit den Fingerspitzen darüber. »Danke!«
Elena lächelte zufrieden, so als stamme das Geschenk von ihr. »Ich wusste es.« Sie rutschte auf dem Stuhl ein Stückchen vor. »Luisa klöppelt diese Spitzen selbst. – Es ist Brauch, dass die Frauen aus dem Heimatdorf des Patrons den Schleier für seine Sanguaíera klöppeln und auch ihr Kleid besticken.« Vergnügt rieb sie sich die Hände. »Endlich können wir damit anfangen. – Wenn es dir recht ist, komme ich mit Luisa und Magdalena in den nächsten Tagen nach Santa Reyada und nehme deine Maße. Luisa bringt dann ihre Muster mit und du kannst dir aussuchen, welches dir besonders gut gefällt, einverstanden?«
Ich starrte sie an, öffnete den Mund, um ihr zu sagen, dass
ich nicht hierbleiben würde, dass ich in ein paar Tagen wieder fortgehen würde … und schloss ihn wieder, nickte stattdessen einfach; plötzlich mit einem Gefühl des Bedauerns. Und ich verstand nicht, warum. Warum ich mir vorkam wie eine Verräterin. Warum diese Leute sich darüber zu freuen schienen, dass es mich gab. – Er kam hierher und forderte den ›Blutzoll‹ von ihnen. Wieso wünschten sie mich nicht zur Hölle? Ich war der Grund, dass er weiter auf Santa Reyada bleiben und sie kontrollieren würde. Warum war es ihnen nicht lieber, wenn er verschwand und Cris an seine Stelle trat? Cris, der offenbar so gut wie keine Magie mehr in sich trug und damit anscheinend auch von dem Fluch dieses Teufelspaktes verschont bleiben würde. Oder gingen sie davon aus, dass mein Blut nicht nur verhindern würde, dass er Nosferatu wurde, sondern auch, dass er dann in Zukunft nur noch von mir trank?
»Das Rot wird dir ganz wunderbar stehen!«
Ich blinzelte. Was hatte Elena gerade gesagt? »Rot?«
»Das Kleid einer Sanguaíera ist immer rot. Wusstest du das nicht? Rot mit schwarzer Spitze abgesetzt und einer schwarzen Mantilla. Hat Joaquín dir noch nichts davon gesagt?« Sie schnalzte mit der Zunge, als ich den Kopf schüttelte. »Typisch Mann. Manchmal fehlt ihnen einfach der Blick für die wichtigen Dinge. Dummerweise ist Cris da ja keinen Deut besser.«
Der stieß ein Schnauben aus.
»Nicht?« Elenas Augenaufschlag war so zuckersüß-spöttischunschuldig, dass ich mir ein Lachen kaum verbeißen konnte.
Sie richtete sich ein wenig auf ihrem Platz auf, als eine junge Frau mit einem kleinen Mädchen auf dem Arm neben sie trat, mich mit einem Lächeln bedachte und sich dann zu ihr herabbeugte. »Es ist bald Zeit für die Kinder«, mahnte sie halblaut.
Elena nickte. Meinen verwirrten Blick schien sie nicht zu bemerken. »Ja, natürlich. Du hast recht. Sag Lorencio Bescheid. «
Die junge Frau lächelte mir noch einmal zu, hob das Kind auf ihrem Arm höher auf die Hüfte hinauf und ging davon. Elena winkte jemandem im Inneren der Cantina und gab ihm ein paar kurze Zeichen, ehe sie sich wieder mir und Cris zuwandte. Offenbar stand die Verwirrung noch immer auf meinem Gesicht, denn sie lachte leise. »Wir haben noch eine Überraschung für dich.«
Ich sah Cris an. Der grinste nur
Weitere Kostenlose Bücher