Bluteis: Thriller (German Edition)
hatten, machten sie eine Pause und duckten sich fünf Minuten regungslos in den Schnee, um sicherzugehen, dass ihnen niemand folgte.
Thien hoffte, dass er bei der mörderischen Geschwindigkeit der Mannschaft mithalten konnte. Er war zwar trainiert wie schon lange nicht mehr – die unendlichen Touren zu den Höhlen hatten seine Oberschenkel und Lungen gestählt –, aber was diese Männer vorlegten, war wettkampfreif. Das war der Grund, warum er sich weigerte, mit Sandra Skitouren zu gehen. Mit Weltmeisterinnen machte das ebenso wenig Spaß wie mit diesen Kampfmaschinen. Auch Markus Denninger nahm keine Rücksicht mehr auf ihn. Wenn er schon mitwollte, dann im Stil und Tempo der Truppe, hatte er ihm bedeutet.
Schon nach gut zwei Stunden erreichten sie die Gipfelschulter des Il Chapütschin, zogen sich gegenseitig die Felle von den Ski und fuhren, ohne zuvor eine Pause einzulegen, den Roseggletscher hinab. Auch als sie sich dem Höhleneingang näherten, hielten sie sich nicht mit Lagebesprechungen oder dergleichen auf. Markus Denninger wies Thien mit einem Handzeichen an, in Deckung zu gehen. Dann schlichen sich zwei der Männer mit vorgehaltenen Maschinenpistolen und vor die Augen geschnallten Nachtsichtgeräten in die Höhle. Nach nur drei Minuten kamen die beiden wieder heraus. Einer von ihnen meldete: »Ausgeflogen.«
»Ausgeflogen?«, schrie Thien. Er knipste seine Stirnlampe an und stürmte nach vorn und an den Männern vorbei. Als er die erste Halle betrat, glaubte er seinen Augen nicht trauen zu dürfen. Der Raum aus Eis war so groß wie das Schiff einer mittleren Pfarrkirche. Und überall waren Spuren von Leben, das bis vor kurzem hier stattgefunden hatte. Riesige Fässer mit Brennstoff, Styroporkisten, in denen noch Obst und Gemüse lagerten, Regale mit Mehl, Zucker, Fett, zwei gasbetriebe Outdoor-Küchen aus Edelstahl zeugten davon, dass hier Menschen gewohnt hatten.
Markus Denninger kam, mit den zwei Männern, die die Höhle untersucht hatten.
»Wow«, sagte er.
Einer der Männer zeigte mit einem Kopfnicken in die Richtung, in der ein niedriger Durchschlupf in die Nachbarhalle führte. Die vier gingen auf die Knie und zwängten sich hindurch. Hier waren sechs Sitzgelegenheiten aus Eis geformt und standen im Halbkreis um ein Eispodest.
»Wie ein Versammlungsraum. Oder Seminarraum«, staunte Denninger.
Sie nahmen den nächsten Durchschlupf und kamen in einen Eisdom, der gut und gern zehn Meter hoch war und einen Umfang von dreißig Metern hatte. Hier hatte sich offenbar eine Schlafstätte befunden, wovon ein Eisklotz von zwei auf drei Metern mit einer eingeschmolzenen Kuhle in Körperform zeugte.
Nach und nach entdeckten sie die weiteren Schlafräume, jedoch war keiner mehr so groß wie der erste. Insgesamt vierzehn Betten aus Eis.
»Sie haben sich hier ein Eishotel eingerichtet«, sagte Denninger verblüfft. »Unglaublich. Und dabei so logisch. Sie haben Wasser. Es läuft hier unter dem Eis überall. Hört ihr es? Und sie sind von außen nicht zu entdecken. Durch dieses Eis geht nichts durch, es ist etliche Meter dick. Kein Satellit kann irgendetwas sehen, und die Wärmebildkameras der Hubschrauber registrieren auch nichts. Nur einen Nachteil hat so ein Eishotel: Im Frühjahr muss man raus, sonst wird’s zu gefährlich. Kann ja jederzeit einstürzen, so ein Hohlraum, wenn der Gletscher in Bewegung gerät. Ist nur bei Temperaturen unter null sicher.« Er schaute immer noch nach oben und bestaunte das bläuliche Schimmern des Eises. Es wurde Tag.
»Das haben sie ja offenbar auch beherzigt«, sagte Thien. »Apropos Hubschrauber: Wo sie den wohl entsorgt haben?«
»Würde mich nicht wundern, wenn da im Sommer in einer Gletscherspalte in der Nähe etwas gefunden wird«, meinte Denninger. »Wenn die Spalte breit genug ist – und da gibt es hier etliche –, ist es kein Problem, so ein Gerät innerhalb weniger Sekunden darin verschwinden zu lassen.«
»So eine verdammte Kacke!«, fluchte Thien. »Wäre ich doch nur früher drauf gekommen!«
»Lass gut sein«, beschwichtigte ihn Denninger. »Sie können nicht weit sein. Die finden wir.«
»Sie können in alle Himmelsrichtungen davon sein«, widersprach Thien. »Spuren von Skitourengehern findest du hier auf jeden Gipfel Hunderte. Und jetzt, da die eigentliche Saison losgeht …«
»Wo würdest du hingehen?«, fragte Denninger.
»Keine Ahnung. Sie haben ja irgendein Ziel. Sie wollen etwas. Da weißt du wahrscheinlich mehr drüber als ich. Wo will
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