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Bluteis: Thriller (German Edition)

Bluteis: Thriller (German Edition)

Titel: Bluteis: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marc Ritter
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die Antwort nicht. Alles, was ich weiß, ist, dass es so nicht weitergehen kann. Die Überbevölkerung gefährdet schließlich auch unseren Wohlstand. Sie gefährdet alles. Sollen wir die Leute dazu erziehen, dass sie nur ein Kind bekommen? Sollen wir sie dazu zwingen? Oder sollen wir …«
    »… sie bewusst reduzieren?«, unterbrach ihn Käppli und beendete damit zugleich seinen Satz.
    »Sag du es mir, Annemarie«, forderte Sonndobler mit verzweifeltem Gesicht.
    » Ich bin nicht der Herr der Welt.«
    »Wenn ich es nicht mache, dann macht es jemand anderer. Und wer weiß, ob er es schlimmer macht als ich.«
    »Oder besser.«
    »Oder besser. Wer weiß. Und ich kann ja nicht den Lauf der Dinge ändern. Auch der oberste Osterbacher ist von all diesen Leuten und ihrer Zustimmung abhängig. Und von denen bricht auch keiner aus seiner Rolle aus, weil er Angst hat, dass er dann nicht mehr dazugehört. Wir sind auch nur Gefangene unserer eigenen Gruppendynamik.«
    »Und die Opfer dieser Gruppendynamik sind die Kinder in den Drittweltländern.«
    »Du meinst also, ich sollte versuchen, es zu ändern?«
    Sie wurde eine Spur leiser, was ihren Worten nur eine noch größere Eindringlichkeit verlieh. »Natürlich solltest du das. Du hast vor drei Minuten gesagt, du willst, dass kein Kind mehr verhungert. Also musst du es versuchen. Wenn nicht du, wer dann?«
    »Nur wie?«, schrie Sonndobler. Die Ereignisse der letzten Wochen waren nicht spurlos an seinem Nervenkostüm vorübergegangen. Wenn er ehrlich gegenüber sich selbst war, musste er zugeben, kurz vor einem Zusammenbruch zu stehen.
    »Komm, lass uns nach unten gehen«, schlug sie vor. »Du hast ja Zeit. Du bist der jüngste Osterbacher-Präsident seit vielen Jahrzehnten.«
    »Erst einmal muss ich es werden.« Sonndobler hatte seine Contenance wiedergefunden und konzentrierte sich auf das vor ihm liegende Ereignis. So, wie er es an der Business School gelernt hatte. Das Ganze im Blick, aber die Augen auf den nächsten Schritt gerichtet.
    Sie legte Sonndobler den Ablaufplan des Abends, seine Inaugurationsrede und eine Broschüre mit Informationen zu allen anwesenden Osterbachern auf das Sideboard. Die Daten stammten aus dem MIP-System. Sonndobler würde sie in der Jackettinnentasche tragen, für den Fall, dass sein Smartphone keine Internetverbindung zum MIP-Server aufbauen konnte.
    Wortlos ging sie zurück in ihr Zimmer. Wie immer bei solchen Anlässen würde sie fünf Minuten vor Sonndobler auf dem Parkett stehen, um zu entscheiden, wann der richtige Zeitpunkt für sein Erscheinen gekommen sei. Ein Albert Sonndobler durfte weder als Erster noch als Letzter zu einem Anlass erscheinen. Es galt genau den Moment abzupassen, zu dem genug weniger Wichtige bereits mit den Champagnerschalen an den Stehtischen im Vorraum des Bankettsaales warteten, um seine Ankunft als Publikum zu würdigen. Andererseits durften die sehr Wichtigen noch nicht anwesend sein, denn die musste Sonndobler einzeln in Empfang nehmen, um seine Stellung als Zeremonienmeister vor den Augen der Unwichtigeren zu manifestieren. Mit einer SMS würde sie ihn rechtzeitig ins Zentrum des Geschehens lotsen.
    So geschah es auch diesmal. Sonndobler erhielt die Kurznachricht, nahm die Treppe nach unten, und alle Gesichter im Vorraum des Konzertsaales wandten sich ihm zu, als er um vier Minuten vor acht kopfnickend und händeschüttelnd dort erschien. Nur eine halbe Minute nach ihm tauchte die deutsche Kanzlerin in schwarzem Hosenanzug mit breitem, weißgesäumtem Revers auf. Für ihre vierundsechzig Jahre sah sie in letzter Zeit erfrischend jung aus. Man tuschelte allenthalben, ob sie sich nicht die Wangen, die von Schwerkraft und Amtsbürde in den letzten Jahren hinabgezerrt worden waren, hatte liften lassen. Doch nicht einmal die eher links stehenden Websites und TV-Kanäle hatten es gewagt, Archivbilder vergleichend nebeneinanderzustellen. Politiker reagierten auf Verletzungen ihrer Persönlichkeitsrechte immer rabiater, und die Schmerzensgelder, die Medienanwälte mittlerweile erstritten, hatten schon manche Publikation in die Pleite gerissen.
    Die lang gediente und mächtigste Frau Europas begrüßte Sonndobler herzlich. In ihrem Gefolge waren der Vorsitzende der größten deutschen Bank, die Chefs der Autobauer aus Stuttgart und Wolfsburg sowie die Versicherungsbosse aus München. Am Ende der Karawane der wichtigsten deutschen Manager schritt der drahtige Vorstandsvorsitzende des Luftfahrt- und Rüstungskonzerns

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