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Bluteis: Thriller (German Edition)

Bluteis: Thriller (German Edition)

Titel: Bluteis: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marc Ritter
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nicht Tischnachbarinnen die Stühle unter dem Allerwertesten zurechtgeschoben werden. Die Osterbacher waren zu fast fünfundneunzig Prozent ein Männerverein, und dieses Mischungsverhältnis repräsentierte sehr gut die derzeit noch gültige Machtverteilung in den Vorstandsetagen internationaler Multis. Besonders im äußerst stark vertretenen Finanzsektor herrschten weiterhin quasivatikanische Verhältnisse. Freilich hatten die meisten Großmächtigen wie Sonndobler ihre persönlichen Assistentinnen mitgebracht. Aber Ehefrauen waren traditionell nicht bei den Osterbacher-Tagungen zugegen. Das war nirgends festgeschrieben, aber immer schon so gewesen. Die Assistentinnen hielten sich bei den Diners diskret im Hintergrund und speisten in einem Nebenraum mit den Chauffeuren und Bodyguards. Im Konzertsaal des Hotels Schloss Osterbach wäre auch gar kein Platz für sie gewesen. Sie wussten, dass sie zum Abschluss einer langen Nacht in den King-Size-Betten ihrer Chefs wieder das Kommando übernehmen würden.
    Der Küchenchef des Hotels hatte mit der Zusammenstellung des Menüs seine liebe Not gehabt. Normalerweise versuchte er regionale oberbayerische Klassiker auf Sterne-Niveau zu heben. Doch da seine Gerichte jeweils auch in Kosher- und Halal-Varianten zuzubereiten waren, schieden die meisten Schmankerl seines Repertoires wie Mousse von der Weißwurst an Schweinebratenjus aus. Er zog die sichere Variante vor, hielt sich an die Regeln des modernen Menüs und tischte als kalte Vorspeise Carpaccio von Rindsfilet mit Rucola und Parmesan auf, gefolgt von einer Safrancremesuppe mit Crevetten garniert. Nach dem Fischgericht, einem Wels, der angeblich aus dem um die Ecke gelegenen Walchensee, in Wahrheit aber aus einer ungarischen Aquakultur stammte, reichte das Servicepersonal ein Fichtennadel-Honig-Sorbet. Als Hauptgang servierte man Lammkotelett an einer provenzalischen Kräutersauce. Das Dessert war wahlweise ein hausgemachtes Tiramisu mit Orangenlikör oder in Cassis marinierte Feigen mit Zimteis. Selbstverständlich konnte alternativ oder komplementär zum Dessert auch aus einer Auswahl feinster Rohmilchkäse aufgefahren werden. Die Wahl des Zimteises war gewagt, so hatten die alle Eventualitäten bedenkenden Protokoll-Mitarbeiter den Koch und die Kollegen von der Protokoll-Abteilung des Bundeskanzleramtes wissen lassen, denn für viele war dieses Gewürz ein Synonym für Winter und Weihnachten, und hier in den Ausläufern der Alpen herrschte Anfang April bereits Frühling, außerdem war Weihnachten eindeutig ein christliches Fest. Doch es würde keine Proteste geben. Immerhin war Zimt auch in den Küchen im gesamten Orient ein fester Bestandteil der beliebtesten Speisen.
    Nach jedem Gang war eine kurze Rede vorgesehen. Den Anfang machte nach dem Carpaccio die Kanzlerin. Sie begrüßte im Namen des Bundespräsidenten die internationalen Gäste. Der friedensbewegte ehemalige evangelische Geistliche hatte sich strikt geweigert, mit der »Bande von Kriegstreibern und Globalisierungsgewinnlern« zusammenzutreffen, wie er der Regierungschefin in einem vertraulichen Telefonat mitgeteilt hatte. Der war seine Absage ganz recht gekommen. Auf diese Weise hatte sie ihn nicht als personifiziertes schlechtes Gewissen im Genick, wenn sie ein Waffengeschäft zwischen dem Luftwaffen-Major, einem seiner Kollegen von der Panzerindustrie oder den Stuttgartern mit ihren Lastwagen und einem der Regierungsvertreter aus Krisenregionen der Welt einfädelte. Und er konnte nicht in jener Begrüßungsrede, die er als oberster Repräsentant der Bundesrepublik hätte halten müssen, irgendjemanden mit seiner Gefühlsduselei nerven oder gar vergrätzen.
    »Meine sehr verehrten Damen und Herren«, begann die Kanzlerin, »Deutschland ist froh und glücklich, Sie nach so langer Zeit endlich wieder einmal auf unserem Boden zu wissen. Auf einem Boden, der ja im übertragenen Sinne auch der Ihre ist. Denn Ihre Organisation, die so viel mehr tut für die internationale Zusammenarbeit als manche UN-Abteilung, stammt ja von hier, aus diesem wunderschönen Tal. Ich möchte Ihnen die uneingeschränkte Unterstützung der Bundesregierung übermitteln. Wir sind auf dem Weg zur Liberalisierung der Märkte in den vergangenen Jahrzehnten ein großes Stück weiter gekommen. Ich bitte Sie jedoch auch, diese Freiheiten so zu nutzen, dass unsere Bevölkerung nicht wieder nach Regulierung und Kontrolle ruft. Geschäfte sowohl im Finanz- als auch im Rüstungssektor sind mit

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