Bluteis: Thriller (German Edition)
brauchen. Wenn Sie also auch für mich heute im Einsatz wären? Was meinen Sie? Die allerbesten Bilder geben Sie den Amerikanern, und die allerzweitbesten mir? Reichen fünftausend Franken am Tag als Gage aus?«
Thien verschluckte den Satz, der ihm auf der Zunge gelegen hatte. »Äh, natürlich, Herr Wyss. Das finde ich ganz …«
»Na, dann sind wir ja im Geschäft. Ich hoffe, Sie sind warm angezogen.«
Thien grinste. »Ich hab gehört, dass man das sein muss, wenn man mit Schweizern Geschäfte macht.«
Paul Wyss fand diese Bemerkung nicht ganz so lustig wie Thien. »Nun, ich lasse Sie nun mit René allein, damit Sie sich an das Fahrzeug und an seine Fahrweise gewöhnen. Um zehn Uhr geht die Post ab. Ade.«
»Na, dann gewöhnen wir uns einmal aneinander«, sagte Thien zu René.
»René heiß ich. Und du bist also der Tiiien.«
»Thi-en spricht man meinen Namen. Ist vietnamesisch. Bedeutet Himmel.«
René nickte beeindruckt und holte aus dem schwarzen Kasten auf dem Gepäckträger des Quads einen Helm, den er seinem Passagier reichte.
Thien nahm hinter René auf dem rot-blauen Gefährt Platz. René riss das Gas auf und zog auf dem Eis des St. Moritzersees immer enger werdende Kreise. Er fuhr einen schnellen Achter, um Thien an die Lastwechsel zu gewöhnen. Die mit langen Spikes ausgestatteten Stollenreifen bissen sich tief in Eis und Schnee und ließen Kurvengeschwindigkeiten zu, wie sie Viererbobs in Steilwandkurven zuzutrauen waren. Nach zehn Minuten war Thien schlecht. Aber er wusste, wie er sitzen musste, um nicht vom Bock zu fallen, wenn er seinen Oberkörper zum Fotografieren seitlich verdrehte.
Thien stieg vom Quad, um die restliche Zeit bis zum Start für ein paar Nahaufnahmen der Pferde zu nutzen und um sich die Gesichter der Promis einzuprägen. Er ließ René mit seinem Quad stehen und mischte sich unter das Teilnehmerfeld. Besonders die geheimnisvolle Prinzessin aus der Südsee, über die er im Internet so wenig in Erfahrung hatte bringen können, hatte es ihm angetan. Wer konnte wissen, ob sie nicht später einen berühmten amerikanischen Schauspieler oder europäischen Adligen heiraten würde. Thien Hung Baumgartner hätte dann exklusive Fotos von der jungen Dame, wie sie ihrem Pferd die Hufe auskratzte. Oder gerade in ihr Reitoutfit schlüpfte. Er suchte ihre Startnummer 13 und fand bald die Box, in der ihr schwarzer Hengst stand. Offenbar war die Dreizehn in ihrem Kulturkreis keine Unglückszahl. Thien musste grinsen, als er sah, dass Prinzessin Myulalami II. wohl üblicherweise im Outfit einer Barbie-Puppe zum Reiten ging. Gamaschen und Satteldecke ihres stattlichen Rappen waren knallpink. Dieser Farbton biss sich herrlich mit dem Jagdrot ihres Anoraks, den zu tragen bei dieser Veranstaltung Pflicht war. Tatsächlich brachte gerade ein Steward der jungen Schönheit die gefütterte Jacke, und Thien hatte seine Nahaufnahme.
Draußen vor den Ställen spielte sich die Jagdbläsergruppe gemeinsam mit dem Alphorn-Ensemble warm. Thien zog weiter durch die Stallungen und fotografierte.
Bald hieß es für die Teilnehmer auf dem See Aufstellung nehmen. Thien kehrte zurück zu seinem Quad-Fahrer. Punkt zehn Uhr schallten die Jagdhörner zum großen Halali über den See – das Startsignal für die siebzehnte und letzte Engadiner Schneefuchsjagd. Hundertfünfzig rot berockte Reiterinnen und Reiter preschten durch den Startbogen.
René hielt locker mit der Führungsgruppe um den Fuchs mit, den der Veranstalter Paul Wyss selbst darstellte – er trug als Erkennungszeichen einen Fuchsschwanz am Revers –, und Thiens Canon knipste im Dauerfeuer. Erst ging es wenige hundert Meter über die freie Eisfläche, dann teilte sich die Strecke in zwei Wege, einen für die kleinen Pferde und Ponys und einen für die größeren. Diese Route war die mit den Hindernissen, und die meisten Pferde nahmen sie. René hielt das Quad in Höhe der Führungsgruppe mit dem Fuchs. Weder das Fahrzeug noch die Pferde hatten allzu große Mühe, da der Schnee morgens von Pistenraupen platt gewalzt worden war.
Schon hatte das Feld das Ende des Sees erreicht. Jetzt ging es auf geräumten Wegen um den Ortsteil St. Moritz Bad herum. René gab Gas und ließ die Reiter hinter sich. Während die Jagdgesellschaft nach links in den Wald preschte, hielt René auf die Häuser zu, fuhr zwischen diesen hindurch und ließ das Quad auf der Hauptstraße Strecke machen. Sie überquerten auf der Via San Gian den Fluss Inn, und nach einigen
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