Blutengel: Thriller
Jobs kaum die anderthalb Stunden lang ihre Augen offen halten konnten.
Eine dunkelhäutige Frau führte ihren Schäferhund spazieren. So, wie sie ihren Rucksack über die Schulter gehängt hatte, handelte es sich wahrscheinlich ebenfalls um eine Studentin. Man erkannte das nach einer gewissen Zeit.
Ihr Gesichtsausdruck war angespannt und zugleich emotionslos. Das lustige Studentenleben gehörte entweder der Vergangenheit an, oder es fand nicht mehr in der Umgebung der Universität statt.
War das in der Schweiz anders? Ihre Tochter Leonie meldete sich nur noch sporadisch, seitdem sie beschlossen hatte, zu ihrem Vater nach Zürich zu ziehen und dort in einer internationalen Schule ihr Abitur zu »bauen«. Es tat weh, dass sie nicht auf die Idee kam, ihre Mutter anzurufen. Es war, als hätte jemand bei ihrer Tochter einen Schalter umgelegt. Dabei hatten sie sich früher doch wirklich gut verstanden. Seit ihrem 14. Lebensjahr hatte Leonie sie allmählich aus ihrem Leben ausgeschlossen. Und sie hatte jeden Versuch, ein ernsthaftes Gespräch darüber zu führen, zunächst abgeblockt und dann abgelehnt. Kaja drückte ihren Kaffeebecher zusammen und warf ihn in einen Papierkorb.
Eine halbe Stunde später betrat sie das Polizeipräsidium. Der Pförtner starrte missmutig auf eine Liste, telefonierte und schickte sie dann in den sechsten Stock.
Hier lag das Konferenzzimmer, in dem sie über Wochen ihre Zentrale aufgeschlagen hatten.
Sie klopfte an die Tür und ging gleich hinein. Das Licht im Raum war gedimmt. Es schien ihr plötzlich, als würde sie von all den Gedanken, die sie über Wochen begleitet hatten, überrollt. All die Vermutungen und Theorien und auch die schrecklichen Bilder, die sich in ihren Kopf gegraben hatten. Sie glaubte, eine Bewegung in ihrem Bauch zu spüren, doch das war natürlich Unsinn in dieser frühen Phase der Schwangerschaft. Schwangerschaft!
An einem der Schreibtische saß Tannen und starrte auf einen Bildschirm. Als er sie bemerkte, blickte er kurz zu ihr auf und nickte ihr lächelnd zu.
»Immer rein in die Kommandozentrale«, sagte Mangold, als er ihr mit ausgestreckter Hand entgegentrat.
»Schön, dass Sie da sind, Kaja.«
Sie deutete in den im Halbdunkel liegenden Raum.
»Es sieht noch genauso aus wie …«
»Falsch«, sagte Mangold. »Es sieht wieder so aus. Wieder. Wir richten gerade alles ein.«
In diesem Augenblick trug ein Mann den roten Knautschsack an ihnen vorbei, auf dem der Autist Peter Sienhaupt während der Ermittlungen um den Serienmörder Travenhorst mehr geschaukelt und gehüpft als gesessen hatte.
»Das wird ein Film«, sagte sie. »Und Sie bauen gerade die authentische Kulisse wieder auf.«
Mangold lachte und bat sie, ihm zu seinem Schreibtisch zu folgen.
Techniker schlossen gerade die Telefonleitung und den Computer an.
»Was ist mit dem neuen Bildschirm?«, fragte Mangold.
Der Techniker zeigte stumm auf einen schmalen Karton, der an eine Stellwand gelehnt war.
Kaja musterte die leere Wand, an der vor einigen Wochen noch die Tatortfotos des Savant-Mörders gehangen hatten.
Mangold zog zwei Stühle in die Ecke und sagte: »Bitte nehmen Sie doch Platz, Kaja.«
»Was halten Sie davon?«, sagte Mangold. Sie spürte seine leichte Unbeholfenheit, die ihn schon sehr sympathisch machte. Mangold war zurückhaltend und strahlte dennoch Vertrauen aus. Ein schmales und kantiges Gesicht mit einem Mund, dem man ansah, dass ihm das Lächeln schwerfiel.
»Kaja?«
»Entschuldigung. Was ich davon halte? Von der Kulisse? Perfekt.«
»Die Kulisse? Ja, also nein, das meine ich nicht. Was halten Sie davon, wieder an Bord zu kommen.«
»Ein neuer Fall?«
Mangold nickte und sagte: »Und, was ist? Bereit, auf die Jagd zu gehen?«
»Ich habe einen Lehrauftrag an der Universität, betreue Studenten …«
»Wir finden eine Vertretung.«
»Wir?«
»Dies ist eine dringende Bitte von ganz oben.«
»Ihre Vorgesetzten bitten mich um meine Mitarbeit?«
»Ich bitte Sie.«
»Und die da oben bitten auch?«
»Die sind der Meinung, dass wir unter sehr schwierigen Bedingungen bei unserem letzten Fall sehr erfolgreich zusammengearbeitet haben. Sie denken, wir könnten so eine Art Modell für eine kreativ agierende Sonderkommission sein. So heißt es jedenfalls in dem Beschlusspapier.«
»Kreativ? Das ist was für Werbeleute und PR-Menschen.«
»Das geistert hier neuerdings als Lieblingswort und Slogan über die Flure. Am Ende des Tages ist im Moment auch sehr beliebt, am Ende des
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