Blutengel: Thriller
abzubrechen, wich langsam einem trotzigen Gefühl, es allen zu zeigen und eben doch bis zum frühen Sonntagabend durchzuhalten.
Eigentlich wollte er an diesem Wochenende auch entscheiden, ob er nun den Job als Kriegsberichterstatter in Afghanistan annehmen sollte oder doch lieber Mangolds Ermittlungen unterstützte. Andererseits wollte er sich voll und ganz auf dieses Meditationsspiel mit der Atemzählerei einlassen.
Aus der Richtung der Meditationsleiterin hörte er ein Rascheln. Gleich, gleich würde die Glocke ertönen. Endlich. Doch zu seinem Entsetzen sah er, wie eine Nonne mit einem hölzernen Schwert in der Hand die Reihe der Meditierenden abschritt. Undeutlich erkannte er, dass sich ein Mann, der sich am Freitagabend als Mathematikprofessor vorgestellt hatte, auf seinem Kissen mit zusammengelegten Handflächen verneigte. Die Nonne blieb stehen, verbeugte sich ihrerseits und hob das Schwert. Mit einem lauten Krachen landete die flache Seite der hölzernen Klinge auf dem Nacken des Mannes. Er schwenkte den Kopf leicht zur Seite, legte ihn wieder auf sein Knie, und schon sauste das Schwert auf die andere Seite des Nackens. Anschließend verbeugten sich der Mann und die Nonne voreinander. Dieser Idiot hatte freiwillig um Schläge gebeten! Nicht zu fassen.
Wenn er ohnehin schon dauernd beim Zählen durch seine Gedanken unterbrochen wurde, konnte er sich jetzt auch die Zeit nehmen, seine Entscheidung zu überdenken.
Ein verrückter Serienkiller, der seine Opfer mit fantasievollen Methoden umbrachte. Kein Mord ähnelte dem anderen. Selbst die Beseitigung des Zeugen, der ihn in einem Berliner Hausflur erkannt hatte, wurde von ihm zelebriert. Eine Kugel, die er ihm in den Mund stopfte, und anschließend hatte er ihm die Nase zugehalten.
Obendrein signierte er seine Opfer mit lateinischen Spruchweisheiten. Auch dazu musste man erst einmal Zugang haben. Was aber bedeuteten die verschiedenen Buchstabenkürzel? Immer wieder hinterließen Serienkiller ihre Signatur, um sich in ihrer Mediengeilheit für immer zu verewigen. Dieser Täter wechselte die Unterschriften. Und da der Mann – und um einen Mann musste es sich wegen der Kraftanstrengung, die diese Taten erforderten, handeln – alles genau plante, musste sich dahinter ein System oder eben eine Nachricht verbergen. Tanja Binkel, die er verkehrt herum an die Decke gehängt hatte. Der Niendorfer Rentner, der auf einer Liebesschaukel ausblutete.
Serienmorde schwappten von Amerika nach Deutschland, behaupteten die Medien. Dabei waren sie schon längst angekommen. Nur dass sie eben manchmal erst durch einen Zufall entdeckt wurden.
Half das Denken gegen Schmerzen? Konnte man sich mit ablenkenden Gedanken ein paar Minuten Erholung verschaffen? Nein, sie kehrten mit noch größerer Wucht zurück. Der Schmerz in seinen leicht abgeknickten Knöcheln war unerträglich. Millimeter um Millimeter versuchte er, die Füße zu strecken.
Auch das Mittagessen brachte keine Erholung. Die Pampe und das Gemüse, die den Magen möglichst wenig belasten sollten, wurden aus fünf runden Schalen serviert und mit Stäbchen gegessen.
Alles in einem festgeschriebenen Ritual, alles ohne ein Wort zu sagen, und am Ende wurden die Schalen direkt am Tisch gewaschen und für die nächste Mahlzeit bereitgestellt. Mittagspause, dachte Hensen, doch in einer Reihe folgten die Meditierenden den Mönchen zurück in den Meditationsraum zu den Kissen.
Nach zwei weiteren Folterrunden wurden alle Interessierten zur Audienz bei der Meisterin gerufen. Die vorgeschriebenen rituellen Verbeugungen, die die Schüler auszuführen hatten, hatte Hensen am Vortag geübt. Sich vor einem Menschen zu verneigen, das war ihm schlicht und einfach zuwider. Nun gut, es handelte sich beim Zen um eine asiatische Tradition, und zu dieser gehörten nun einmal Verbeugungen.
Nach einer weiteren halben Stunde, in der er vor dem Raum der Meisterin von Stuhl zu Stuhl weiterrückte, ohne sich einmal anlehnen zu dürfen, betrat er das Zimmer. Die Meisterin saß auf ihrem leuchtend gelben Kissen und lächelte ihn an. Nachdem er seine Niederwerfungen absolviert hatte, setzte er sich aufrecht hin und erwartete jetzt irgendeinen heiligen Text. Diese Sutras gab es für jede Gelegenheit.
»Was willst du?«
Hensen zwang sich, der Meisterin nicht direkt ins Gesicht zu sehen.
»Ein K ō an«, sagte er und kam sich im gleichen Augenblick blöde vor.
»Du hast doch schon genug davon«, sagte die Meisterin.
Sie hielt tatsächlich einen
Weitere Kostenlose Bücher