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Blutengel: Thriller

Blutengel: Thriller

Titel: Blutengel: Thriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Koglin
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gehalten, wie viele Modelle und Materialien er inzwischen zusammengetragen hatte. Vera hatte seine zugegeben etwas seltsame Leidenschaft zur Weißglut getrieben. Erklären konnte er diese Vorliebe selber nicht. Aber Tunnel, das waren eben nicht nur beengte Räume, Tunnel, das waren Verbindungshöhlen, geschützte Räume, an deren Konstruktion die klügsten Mathematiker, Statiker und Architekten in den verschiedenen Jahrhunderten getüftelt hatten. Auch die Gänge unter den Pyramiden aus der Zeit des Alten Reiches in Ägypten waren nichts anderes als Tunnelsysteme.
    Mangold entkorkte eine Flasche Wein und schenkte sich ein.
    Mit dem Glas in der Hand trat er in das Schlafzimmer und zog sein Taschenmesser aus der Hose. Beim dritten Karton wurde er fündig. Vorsichtig zog er das aus Plastik gefertigte Modell des Berliner Spionagetunnels heraus.
    Elf Monate war der vom britischen und amerikanischen Geheimdienst gebaute 450 Meter lange Tunnel genutzt worden. Man hörte damit die Telefonate zwischen dem sowjetischen Hauptquartier in der DDR und Moskau ab. Verraten hatte den Tunnel schließlich der britische Doppelagent Blake. Befestigt hatte er an dem Modell einen Briefumschlag, der zwei Bilder des mit Sandsäcken und Elektrik vollgestopften Tunnels enthielt.
    Im gleichen Karton fand Mangold zwei Fluchttunnel, die Ost- und Westberlin verbanden.
    Er sah hinüber zu einem besonders gekennzeichneten Karton, den er fest mit Klebeband umwickelt hatte. Darin lagen Notizen, Skizzen und erste Entwürfe für sein kleines Forschungsprojekt. Er hatte immer von einer Auszeit geträumt, in der er ein ganz besonderes Tunnelsystem erforschen konnte: die Kellersysteme, Labyrinthe und Verbindungen unter den Häusern von St. Pauli. Im Laufe der Jahre waren Wände geöffnet und sogar Fluchtwege gegraben worden, und niemand wusste heute so genau, was alles da unten zu finden war.
    Einst war da unten sogar eine Opiumhöhle verborgen, die im Chinesenviertel St. Paulis in den 1920er und -30er Jahren betrieben wurde. Später diente sie als Versteck und Fluchtweg der Kommunisten und Sozialdemokraten, die von NS-Banden verfolgt wurden. Aber auch ein über 20 Kellerräume verteilter Gebrauchtwarenhandel war hier beherbergt.
    Tunnel waren ebenso Angriffswaffe wie Fluchtmöglichkeit, und meistens verbanden sie Menschen. Und man konnte sie zuschütten. So wie den Tunnel zwischen Vera und ihm.
    Vera! Seit sieben Monaten waren sie jetzt getrennt, und er dachte mittlerweile immer seltener an die gemeinsame Zeit. Nie hätte er das für möglich gehalten, doch Vera verblasste. Zeit hatte auch etwas Gnädiges. Und Zeit war Mangelware.
    Der Täter, der in Berlin und Niendorf gemordet hatte, war schnell. Der einzige Mensch, der ihn hätte identifizieren können, war von ihm ohne langes Federlesen aus dem Weg geräumt worden. Aber woher wusste er von dem Mann, der ihn beobachtet hatte?
    Mangold stellte das Plexiglasmodell auf die Fensterbank und füllte sein Glas erneut mit Rotwein.
    »Der alte Mann säuft sich die Welt schön«, sagte eine Stimme hinter ihm. Mangold zuckte zusammen.
    »Lena! Wie wär’s mit Klingeln?«
    »Wie alles in diesem Haus: kaputt.«
    »Man kann klopfen oder sogar vorher anrufen.«
    »Ich habe einen Schlüssel.«
    »Der war für den Notfall gedacht.«
    Lena warf sich auf seine Couch und streifte sich die Schuhe ab.
    »Wie war’s denn so? Ich meine, dein Arbeitstag.«
    Seitdem seine Nachbarin im letzten Monat 18 geworden war, entwickelte sie eine schwer zu ertragende Anhänglichkeit. Gut, manchmal war ihm die Gegenwart des Mädchens durchaus angenehm, aber seitdem sie diesen Job in der Pathologie hatte, glaubte sie, mit ihm fachsimpeln zu müssen.
    »Und, wieder Leichen durch die Gänge geschoben?«, fragte Mangold betont gelangweilt.
    »Gesägt«, sagte sie. »Ich durfte heute mal einen Brustkorb öffnen.«
    »Du bist krank«, sagte Mangold.
    »Wer soll diese Arbeit denn sonst machen? Außerdem bin ich nett zu den Toten. Ich rede mit ihnen.«
    »Und dann sägst du sie auf.«
    »Die verstehen das, außerdem: Lieber so, als würde ich sie wie ein Metzger behandeln.«
    »Und was erzählen sie dir so?«, fragte Mangold.
    Den gemütlichen Abend durfte er wohl abschreiben.
    »Eine Menge Zeug«, sagte Lena. »Toll sind Tätowierungen, da erfährst du was aus ihrem Leben. Aber auch Narben …«
    »Und die fotografierst du dann?«
    »Klar, wir … das heißt, das Institut macht demnächst vielleicht eine Ausstellung. Wenn wir die Erlaubnis

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