Blutengel: Thriller
an.
Nicolai hing, an einem Seil aufgehängt, an der Geschützlafette. Die geschwollene Zunge war aus dem Mund gefallen. Der Maler trug einen verschmierten Kittel und darunter Bermudashorts. Plötzlich stand Kaja hinter ihm.
»So viel zu unserem Verdächtigen«, sagte Mangold.
Er drehte vorsichtig den Körper.
»Keine Verletzung am Oberschenkel, nicht die Spur einer Einritzung.«
»Geänderte Handschrift?«, gab Kaja zu bedenken.
»Und das in einer Shakespeare-Kulisse, nicht zu fassen«, stöhnte Mangold.
»Was, wenn er sich selbst gerichtet hat?«
Mangold schüttelte energisch den Kopf.
»Sehen Sie einen Stuhl? Eine Leiter, irgendetwas, auf das er gestiegen sein könnte, um es dann wegzustoßen?«
»Vielleicht ist er auf das Geschützrohr geklettert und dann mit dem Seil um den Hals heruntergesprungen?«
Das Handy klingelte.
»Jetzt nicht«, bellte Mangold hinein.
»Wirch hier, und Sie werden zuhören.«
»Wir haben …«
»Mangold, mir ist egal, was Sie haben, denn ich habe auch etwas. Nämlich einen Anruf vom Außenministerium. Wir haben keine Zeit mehr. Wer immer dieser Shakespeare-Killer ist, er schüttet uns mit Leichen zu. Und jetzt auch noch das Ausland. Mangold, das muss aufhören, verstehen Sie?«
»Wo?«, fragte Mangold.
»In Florenz. Ein deutscher Priester. Ermordet in seiner Wohnung aufgefunden. Verflucht, jetzt haben wir auch noch die Kirche am Hals.«
»Mit einer Einritzung im Oberschenkel?«
»Dona nobis pacem. Initialen F. B..«
»Und das heißt?«
»Gib uns Frieden.«
*
Marc Weitz drückte energisch die Tür auf. Das Ganze sah aus, als hätte jemand eine Wagenladung Klavierlack in den Laden gekippt. Die Wände glänzten, die Stahlmöbel glänzten, ja selbst der Parkettboden war eine polierte Fläche.
An den Wänden hingen großformatige Bilder. Abstrakt. Mit einer Menge Fantasie ließen sich darin Wolken entdecken. Oder waren es Landkarten, in denen die Kleckse ganze Länder darstellten?
Weitz ärgerte sich, dass er darüber überhaupt nachdachte.
Eine Frau mit langen, dunklen Haaren stand vor ihm und sah ihn freundlich an. Sie war höchstens Mitte 20 und trug eine überlange Jeans.
»Ich bin Marlit Amery, kann ich …«
»Was ist denn das für ein Name?«
»Marlit? Ist eine Grundform von …«
»Als Galeristin Elke oder Kerstin verkauft man nicht so viele Bilder, ist schon klar.«
Die junge Frau strich sich ihre Haare hinter das Ohr und sah ihn verwundert an.
»Glaub’ nicht, dass meine Mutter mir schon als Baby den Job in einer Galerie an den Hals hängen wollte. Tut mir leid, wenn er Ihnen nicht gefällt. Kann ich Ihnen helfen? Oder wollen Sie sich in Ruhe …«
»Umsehen? Verschonen Sie meine Augen.«
»Sie sind …«
»Polizei«, sagte Weitz, machte aber keinerlei Anstalten, sich auszuweisen.
»Was kostet denn so ein moderner Schinken?«
Er hob kurz den Arm, ließ ihn dann aber schnell wieder sinken, als würde er sich davor ekeln.
»Kommt darauf an.«
»Und so was hängen sich die Leute tatsächlich ins Wohnzimmer?«
»Einiges geht auch in Sammlungen oder Museen. Das hier ist ein kanadischer Künstler …«
»Der mich eigentlich nicht interessiert. Sie haben doch …«
Sein Handy klingelte. Auf dem Display leuchtete der Name seines Chefs auf. Sollte Mangold ihn doch endlich mal in Ruhe ermitteln lassen! Konnte doch nicht sein, dass bei echter Polizeiarbeit dauernd das Handy klingelte.
Auch den Anruf von Hensen vor einer Viertelstunde hatte er weggedrückt. Der musste warten. Man hatte auf ihn geschossen, und er würde einen abgenagten Hühnerknochen gegen einen Maserati verwetten, wenn dieser beknackte Binkel und sein Kumpel Nicolai nicht dahintersteckten. Und wenn sie erst einmal so weit waren, dass sie aus lauter Angst auf einen Polizisten schossen, dann hieß es nachsetzen. Druck erhöhen. Ein Jagdhund erwischte den Hasen schließlich auch nicht, indem er den Wald bewunderte.
Diese ganze Ermittlerkombo war nichts anderes als ein schlechter Witz. Wenn er da allein an diesen bettnässenden Sienhaupt dachte. Nur weil das »Genie« ein paar längere Zahlenreihen zusammenzählen konnte!
»Sie brauchen mich nicht mehr?«, fragte die Galeristin.
»Und wie ich Sie brauche. Sie hatten hier eine Gemeinschaftsausstellung von einem gewissen Nicolai und seinem Kumpan Binkel.«
»Die Blutbilder«, sagte die Galeristin. Weitz entdeckte ein Lächeln.
»Haben Sie davon was verkauft?«
»Vier großformatige Bilder, acht Lithografien und jede Menge Postkarten,
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