Blutengel: Thriller
riecht nach einem Krieg.«
»Kriege gibt es mehr, als man denkt«, sagte Tannen.
Hensen sah ihn verwundert an.
»Was meinen Sie damit?«
»Na ja, es gibt Kriege …«
»Ich bin Kriegsreporter«, sagte Hensen. »Also, was meinen Sie?«
Tannen klopfte auf das Notebook, dass er auf seinen Oberschenkel gelegt hatte.
»Computerkriege?«, fragte Hensen.
»Die toben in fast jedem Rechner. Unbemerkt von den Besitzern. Da werden Schadprogramme eingeschleust, und andere versuchen, sie zu eliminieren.«
»In jedem normalen Computer?«
»Das ist ja gerade der Witz. Gesprochen wird darüber immer nur, wenn die Bösen gewonnen haben und ein Computer etwa ferngesteuert wird.«
»Um was damit zu machen?«, bohrte Hensen nach.
»Da gibt es eine Menge von Möglichkeiten. Server werden lahmgelegt, indem die Rechner plötzlich auf einzelne Seiten zugreifen. Milliarden von Spammails werden verschickt.«
»Von Computern, deren Besitzer völlig ahnungslos sind?«
»Unbedingt. Nur in seltenen Fällen wird die Rechnerleistung etwas beeinträchtigt.«
»Für unseren Fall bedeutet das … wir sehen nicht alles«, sagte Hensen. »Wer tötet Nicolai, und warum? Und ist er vielleicht doch der Shakespeare-Killer, der gerichtet wurde? Wollten Sie das damit sagen?«
»Aber wer trägt das dann nach Italien? Ermordet hier auf ähnliche Weise einen Priester«, sagte Tannen.
Hensen betrachtete ihn aufmerksam und sagte dann: »Wir kennen also die Opfer, aber wer die Armeen befehligt oder die Standarten trägt, das ist uns unbekannt.«
Tannen nickte. Das war wieder einmal typisch. Kaum erklärte man dem Journalisten ein paar Fakten, machte der gleich einen mittelalterlichen Kreuzzug daraus.
Der Bus hielt in der Nähe der zentralen Piazza della Signoria. Durch die auf den Platz zulaufenden Gassen schoben sich die Touristenmassen. Einige folgten in Gruppen ihren Fremdenführern, die zur besseren Orientierung leuchtende Regenschirme in die Höhe streckten.
Durch die Luft kurvten Taubenschwärme, die sich auf alles stürzten, was nach etwas Essbarem aussah.
»Michelangelos David«, sagte Tannen und deutete auf die Figur vor dem Gebäude.
»Jein«, sagte Hensen. »Das ist nur eine von einer ganzen Reihe Kopien. Die echte Skulptur steht in einer Akademie. Ist dort sicher vor Taubendreck.«
Tannen lotste sie mit einem Navigationsprogramm auf dem iPhone in eine etwas abgelegene Gasse. Nach zehn Minuten standen sie vor der Villa, in der zahlreiche Priester ihren Ruhestand verbrachten.
Vor der Tür stand ein uniformierter Polizist, der einen kurzen Blick auf das Fax warf, das die Rechtmäßigkeit ihrer Ermittlungsarbeit in Italien beglaubigte.
Im Treppenhaus verströmten jahrhundertealte Dielen einen fast betäubenden süßlichen Geruch. Auf dem ersten Treppenabsatz erwartete sie ein junger, auffallend elegant gekleideter Polizist.
»Ich hoffe, Sie hatten einen guten Flug? Wir hätten Sie auch abgeholt.«
»Wo lernt man als Italiener ein so perfektes Deutsch?«, fragte Hensen.
»In Bochum«, sagte der Beamte und streckte ihm die Hand entgegen.
»Gianni Serra, angenehm.« Dann deutete er zum Gang. »Gleich da vorn ist es.«
Sie schritten den holzgetäfelten Flur entlang, von dem Türen in die Wohnbereiche der hier lebenden Priester führten.
Vor der sechsten Tür stand wieder ein hoch gewachsener Uniformierter, der militärisch grüßte.
Als Serra die Tür öffnete, schlug ihnen mit einem kühlen Windhauch das Tuckern eines Dieselaggregats entgegen.
»Wir haben den Raum runtergekühlt und die Fenster mit Fliegengittern zugehängt. Aber viel Zeit haben wir bei der Hitze nicht mehr. Der Tod ist wahrscheinlich vor zwei Tagen eingetreten.«
Tannen tat einen Schritt in das Zimmer und zuckte zusammen.
Der tote Priester saß mit zur Seite geneigtem Kopf auf einem hölzernen Sessel. Den verzierten Streben und Armlehnen nach hätte das Möbelstück auf so mancher Auktion eine Menge Geld eingebracht. Der Mund des Toten war aufgerissen, auf dem Kopf trug er ein lilafarbenes Käppi. Der ebenfalls lilafarbene Umhang war zugeknöpft und auch der weiße, durchwirkte Stoff ordentlich um den Unterleib geschlungen. Die Unterarme waren mit Paketband an die Lehnen gefesselt und der Stuhl samt Leichnam mit gelben Seilen umspannt. Von der Decke hingen Stoffstreifen aus schwarzer Spitze.
»Ein Boxring«, sagte Hensen.
Er nahm seinen Zeichenblock heraus und begann, den Leichnam zu skizzieren.
»Wir haben Hunderte von Fotos gemacht«, sagte
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