Blutengel: Thriller
wissen, wie das ist.«
»Lebt er denn in Deutschland oder in Argentinien? Sie sind doch nach Argentinien ausgewandert, damals.«
»Ja, Argentinien.«
»Könnte Ihr Sohn …«
Unvermittelt sah sie Kaja an.
»Aber ich weiß es doch nicht«, sagte sie.
Kaja zwang sich, ruhig auszuatmen. Die Enge des Zimmers machte ihr ebenso zu schaffen wie diese Frau mit ihrem eingefrorenen Gesichtsausdruck. Ein Gesicht wie aus Porzellan.
»Wissen Sie, ich bin Psychologin, Sie wissen doch, was eine Psychologin ist?«
Die Frau nickte.
»Und deshalb möchte ich Sie fragen, wie das Verhältnis zwischen Ihrem Sohn und seinem Vater so war.«
»Ihrem Sohn und seinem Vater«, wiederholte sie. Die Augen brachen, und dann machte sie den Eindruck, als hätte sie in der Ferne irgendetwas entdeckt. Ihr Blick kehrte zu Kaja zurück.
»Darüber rede ich nicht«, sagte sie.
Nein, dachte Kaja Winterstein, darüber würde sie nicht reden. Unter keinen Umständen. »Sie sticken?«, fragte Kaja und deutete auf den Korb neben der Stehlampe. »Meine Mutter hat mir das leider nie beigebracht.«
»Ach, das ist nichts. Es ist immer das gleiche Motiv. Und man braucht nur drei Farben.«
Sie griff zu dem Stickrahmen und reichte ihn der Profilerin.
»Rot, Blau, Weiß«, sagte Kaja. War nicht das Geschenkband, mit dem die Fesseln der ermordeten Rentnerin in München an den Oberschenkel gebunden wurden, genau in diesen Farben gehalten?
»Warum ausgerechnet Rot, Blau und Weiß?«
Mit einer zeitlupenartigen Bewegung deutete sie auf das gerahmte Marienbild an der Wand.
»Ich sticke das Bild da ab.«
»Also keine besondere Bedeutung?«
»Maria wird immer in Blau, Weiß und Rot dargestellt.«
»Immer?«
»Blau bedeutet Ruhe und Treue und Tradition. Das lernt man beim Kommunionsunterricht.«
»Und Rot?«
»Blut und Feuer und das Leiden Christi und all der Menschen, die den Märtyrertod gestorben sind.«
Kaja dachte an den weißen und mit Dreckspritzern besudelten Rock des Priesters, der vor vielen Jahren der Lebensgefährte der Frau vor ihr gewesen war.
»Ja, Weiß ist die Unschuld und das Licht der Erleuchtung.«
»Dann verstehe ich nicht, warum die Priester im Alltag Schwarz tragen. Sie tragen doch Schwarz?«, sagte Kaja.
»Das weiß ich auch nicht. Schwarz ist das Chaos, das Nichts.«
»Und warum kopieren Sie ausgerechnet das Bild dort? Was ist daran so besonders, es sieht, nun ja … ein wenig modern aus.«
Zum ersten Mal zeigte sie jetzt ein offenes Lächeln.
»Ich habe Hunderte von Deckchen mit dem Motiv bestickt. Wir verkaufen sie im Café.«
»Ja, aber …«
»Das hat Thomas gemalt.«
»Ihr Sohn?«
»Er war so hin- und hergerissen. Schon als Kind. Hat seinen Vater so verehrt. Wollte Priester werden und dann wieder Maler … wie das so ist bei Kindern.«
»Es tut mir sehr leid«, sagte Kaja Winterstein, »aber ich muss Sie das fragen: War Ihr Sohn im Heim?«
Rose Eilers ruckte den Kopf nach oben und sah sie mit aufgerissenen Augen an.
»Heim?«, fragte sie. »Heim?«
»Vielleicht nur ein paar Monate, als Kind? Oder in einer Erziehungseinrichtung?«
Die Frau sah sie entsetzt an.
»Um Gottes willen, nein! Thomas war nie im Heim. Er hat doch eine Mutter.«
25.
Was für ein Unsinn, dachte Marc Weitz. Der untergetauchte Sohn eines Priesters! Wenn das eine heiße Spur sein sollte, dann war sein Arsch ein Zigarettenanzünder. Binkel war ihr Mann. Und er würde diesen Dreckskerl schon erwischen.
Hatte seine Schwester gekillt und ein paar alte Rechnungen beglichen.
Dieser ganze Fall war viel weniger kompliziert, als die Psychotante ihnen weiszumachen versuchte.
Sie rechtfertigte am Ende nur die rausgeschmissenen Steuergelder, die für ihre Mitarbeit bezahlt werden mussten.
Wo bekam Jens Binkel seine Engel her, die er ständig abmalte? Nach Aussage der Krankenschwester und der Galeristin, die er noch einmal angerufen hatte, suchte sich Binkel seine Motive in der näheren Umgebung. Gab es so etwas wie eine Engel-Kolonie in unmittelbarer Nähe der Irrenanstalt?
Seltsam war diese Versammlung von religiösem Zeugs bei Serientätern schon. Leute, die angeblich Gottes Stimme gehört hatten, die sie zu den Taten drängte, oder eben die Variante mit dem Teufel.
»Nicht gerade selten«, hatte Psycho-Winterstein gesagt. Es gehe oft um religiöse Wahnvorstellungen. Und das durch alle Religionen. Aber wie sollte sich ein Beknackter wie Binkel zu Höherem berufen fühlen? Göttliche Stimmen hören! Großer Gott, diese Winterstein hatte
Weitere Kostenlose Bücher