Blutengel: Thriller
Verjährung eingestellt worden. In drei weiteren Fällen waren die Beschuldigten bereits verstorben.
Tannen griff zum Telefonhörer und ließ sich über die Zentrale mit dem Berliner Computeradministrator verbinden.
Als er sich meldete, erklärte Tannen, dass er mit einer Recherche im System beschäftigt war und ihm Unregelmäßigkeiten aufgefallen seien.
Der Mann am anderen Ende bestätigte Lücken bei Altfällen.
»Wir haben hier in den letzten acht Jahren zwei komplette Neueinspielungen gehabt. Alles neu aufgesetzt.«
»Warum?«, fragte Tannen.
»Neue Computersysteme, neue Programme … das war nicht immer einfach.«
»Und da verlieren Sie einfach ein paar Akten? Ermittlungsrelevantes Material?«
»Nichts haben wir verloren«, sagte der Mann am anderen Ende der Leitung. »Wir haben alles auf Papier. Im Archiv.«
Hensen war anscheinend immer noch mit dem Polizeibeamten beschäftigt, oder hatte er sich in die Kantine verkrümelt?
Tannen notierte sich die Aktennummern und ließ sich von einem Beamten das Archiv zeigen.
Nach einer Stunde wurde er fündig. Fein säuberlich lagen in einem hochmodernen Stahlregal die in einen Karton geworfenen Akten. Nach drei Querverweisen entdeckte er eine Handakte, in der die Missbrauchsfälle zusammengefasst worden waren. Doch das lag nun auch schon vier Jahre zurück.
Tanja Binkel war durchaus rührig gewesen. Bei mindestens 15 Verfahren war sie aktiv geworden. Es ging um sexuellen Missbrauch, Pädophilenspiele, schwere Körperverletzung und Nötigung.
Tannen hielt die Akte dichter an das Licht. Tatsächlich, auch der Berliner Rentner Hans Innach hatte als Hausmeister mitgemischt. Selbst das Münchner Opfer war hier aufgelistet. Die Frau hatte nicht nur Lebensmittel gestohlen, sondern bei einem perfiden Strafe-durch-Essensentzugs-Programm in einem süddeutschen Erziehungsheim mitgewirkt. Letztlich war dies nur ans Licht gekommen, weil zahlreiche Kinder mit Mangelerkrankungen auffällig geworden waren. Die Leitung des Heims hatte bis zum Schluss versucht, die Angelegenheit zu vertuschen. Das Haus wurde geschlossen und die Kinder in anderen Heimen untergebracht.
Auch Arnfried Müller alias Clemens Carolus tauchte in den Akten auf. Er war wegen schwerer Misshandlung angezeigt worden, und er stand in Verdacht, einzelne Jugendliche aus vorgeschobenen »pädagogischen« Gründen zu seinen Dienern gemacht zu haben. Das Wort »Sexsklaven« fiel nicht.
Tanja Binkel schien mit besonderem Eifer gegen diesen Carolus ermittelt zu haben.
Hatte er den Schlüssel zu ihrem Fall gefunden? Das verbindende Glied? Misshandlungen in katholischen, evangelischen und staatlichen Kinderheimen? War ein Rächer unterwegs? Aber wie passte es zusammen, dass die Heime weit auseinanderlagen und zwischen den Beschuldigten keine Verbindung existierte? Und warum brachte der Täter Tanja Binkel um? Carolus jedenfalls hatte sich zu Recht bedroht gefühlt.
»Tannen, es gibt Neuigkeiten«, sagte plötzlich hinter ihm die Stimme von Hensen.
»Das kann man wohl sagen«, sagte Tannen. »Sie zuerst? Oder soll ich anfangen?«
*
Als Mangold aus dem Fahrstuhl des Polizeipräsidiums trat, kamen ihm drei Männer entgegen. Ein Schriftzug auf ihren Arbeitsjacken wies sie als Mitarbeiter einer Spedition aus. Neugierig sah einer der Männer ihn an und fragte: »Sind Sie bewaffnet, wenn Sie in Ihr Büro gehen?«
»Wie bitte?«, fragte Mangold.
»Na, man sieht das immer in Kriminalfilmen, Schulterhalfter und so.«
»Kommt drauf an«, sagte Mangold, der tatsächlich die Dienstwaffe in seinem Schulterhalfter trug. Er wollte schon weitergehen, da drehte er sich noch einmal zu den Männern um.
»Moment«, sagte er und öffnete sein Jackett.
Die Männer nickten und stiegen in den Fahrstuhl.
Gerade als er die Tür zum Konferenzraum öffnen wollte, wurde sie von Viktor Riehm aufgerissen.
»Hast du die drei Typen gesehen?«
»Die Leute von der Transportfirma?«
»So geht das schon den ganzen Vormittag«, sagte Riehm. »Die geben sich hier die Klinke in die Hand.«
»Wieso … wir haben doch neue Möbel.«
»Du wirst nicht glauben, was da drin los ist«, sagte Riehm und deutete mit der Hand auf die Tür.
»Viel Spaß«, sagte er und grinste.
Als Mangold das Büro betrat, sah er ein gutes Dutzend Kartons, die um Sienhaupts Platz herum aufgebaut waren.
»Peter Sienhaupt?«, sagte er. »Hallo?«
Mangold hörte ein schabendes Geräusch. Dann erschien der Kopf des Savants über einem der Kartons.
»Was um Himmels
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