Bluterde
Regionalbüros genoss, allen voran Christopher Sikibi. Er brauchte das Know-how, um die relevanten Akteure zu identifizieren und ins Boot zu holen: Politiker, Polizei, Zoll, Parkaufsichtsbehörde, Park Ranger, Umweltorganisationen. Das neue Oasis-Programm aufzusetzen war eine gewaltige Herausforderung. Er verspürte eine große Befriedigung darin, dem globalen Diebstahl von Ressourcen den Kampf anzusagen. Multinationale Konzerne mussten endlich kapieren, dass Afrika kein Selbstbedienungsladen für billige Rohstoffe war. Wenn man ein gestohlenes Radio auf der Straße kaufte, wurde man der Komplizenschaft beschuldigt. In seinen Augen sollten dieselben Regeln gelten, wenn man Rohstoffe erwarb, die illegal aus einem Land herausgeschafft wurden. Mit dem neuen Oasis-Programm würden Verbrechen wie illegaler Holzeinschlag, unerlaubte Ausfuhr von Bodenschätzen, Schmuggel geschützter Tier- und Pflanzenarten deutlich schwieriger werden.
Er klopfte an die Milchglasscheibe, und ohne auf Antwort zu warten, betrat er das Büro.
»Ah, Ian! Hätte ich mir fast denken können …«
»Hallo Daniel. Haben Sie eine Minute für mich?«
Lea wurde eine Spur blasser. Diphtherie, Hepatitis A und B, Kinderlähmung, Meningokokken-Meningitis, Gelbfieber, Tetanus, Tollwut, Typhus, Cholera. Die Empfehlungen der »Ständigen Impfkommission« für die Demokratische Republik Kongo lasen sich wie das »Who-is-who« der Krankheitserreger. Zudem wurde dringend zu Malaria-Prophylaxe und einer umfangreichen Reise-Apotheke mit sterilen Spritzen geraten. Lea fühlte sich schon beim Lesen ganz krank. Keime, Viren, Bakterien und Parasiten würden überall lauern und auf Türklinken, schmierigen Tischflächen, schlecht gespültem Geschirr, Wasserhähnen und Lichtschaltern nur darauf warten, sie anzufallen, sich zu vermehren und sie mit Fieber oder Schlimmerem zur Strecke zu bringen.
Hatte sie wirklich geglaubt, die Rebellen im Kongo wären das einzige Problem? Sie studierte die Reisewarnung auf der Homepage des Auswärtigen Amtes:
»
Vor Reisen in die Demokratische Republik Kongo wird gewarnt. Dies gilt in besonderem Maße für die Provinzen Equateur, Orientale und Nord- und Süd-Kivu, wo regelmäßig Kämpfe zwischen Regierungstruppen und verschiedenen Rebellentruppen stattfinden …«
Das klang vielversprechend. Aber es gab kein Zurück mehr. Ihre Hände zitterten, als sie den Computer herunterfuhr. Nur keine Panik, ermahnte sie sich, du schaffst das schon irgendwie. Sie schrieb eine Einkaufsliste, packte ihre Tasche und verließ das Büro. Auf dem Gehsteig blieb sie stehen und sog die warme Luft tief in ihre Lungen. Ihre Augen waren für einen kurzen Moment irritiert von dem frischen Maigrün der Sträucher und Bäume, das intensiv in der Sonne leuchtete. Langsam schlenderte sie weiter Richtung Savignyplatz.
Die Reisezeit war gut. Die Regenzeit in der Provinz Süd-Kivu war im Mai vorbei, die Straßen wieder zuverlässig passierbar. Endlich würde sie den Regenwald sehen und Gorillas in ihrer natürlichen Umgebung beobachten können! Wie lange hatte sie davon geträumt? Schon als Kind wollte sie Forscherin werden und wie ihre großen Idole Jacques Cousteau oder Heinz Sielmann in den Weltmeeren tauchen und durch die Serengeti streifen. Jetzt bekam sie die Gelegenheit dazu. Zwischen ihr und dem großen Abenteuer standen nur noch eine Reihe von Impfungen, ein Visumantrag, ein Flug und ein paar Einkäufe, die sie noch zu erledigen hatte. Wozu also die ganze Aufregung? Wenig später betrat Lea den kleinen Outdoor-Laden, den Bodo ihr empfohlen hatte. Sie zwängte sich an einem Ständer mit reduzierten Bergjacken und Wanderhosen vorbei. Eine dünne, rote Softshell-Jacke stach ihr ins Auge. Vorsichtig stieg Lea über offene Schuhkartons, um in den hinteren Teil des Raumes zu gelangen. Die gesamte Stirnseite war ein einziges, riesiges Regal mit Bergschuhen. In ihrer Kindheit waren Wanderstiefel meist grau oder braun und schwer wie Blei. Hier leuchteten ihr High-Tech-Schuhe augenschmerzenverdächtig in Orange, Grün und Rot entgegen. Von dem grellen Angebot überfordert, blickte sie sich hilfesuchend nach einem Verkäufer um. Ein schlaksiger junger Mann mit blonden Rastazöpfen kam auf sie zu.
»Kann ich Ihnen helfen?«
Sie nickte.
»Ich suche Wanderschuhe für eine Trekking-Tour.«
Er machte eine ausladende Handbewegung zum Regal hin.
»Haben wir. Und wenn Sie mir ein bisschen mehr erzählen, kann ich Ihnen auch etwas Passendes empfehlen.«
Lea
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