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Bluterde

Bluterde

Titel: Bluterde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Praxmayer
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durchdringendes Fiepen riss sie aus dem Schlaf. Für den Bruchteil einer Sekunde wusste sie in der Dunkelheit nicht, wo sie war. Erst ihr schmerzender Rücken und der steife Nacken erinnerten sie wieder an ihre Lage. Neben ihr raschelte es, etwas Felliges streifte ihr Bein. Sie schrie und sprang auf. Trappelnde Füße entfernten sich eilig. Ein letztes Quieken, dann kehrte wieder Ruhe ein. Ratten! Sie hatte sie zwar nicht gesehen, aber dafür umso deutlicher hören können. Ihr Herz schlug wie eine Buschtrommel und ein unerträglicher Juckreiz stellte sich unmittelbar ein. Widerliche Viecher! Sie sank wieder auf ihre Sitzunterlage und tastete nach ihrem Wasser und der Banane. Die Flasche fand sie sofort, aber ihre Notration war verschwunden. Hysterisch wühlte sie sich durch die Strohmatte. Keine Banane. Mit fliegenden Fingern suchte sie den Boden ab. Nichts. Die diebischen Nager hatten Beute gemacht. Sie sank auf die Knie und weinte wie ein Baby. Es war ihr egal, sie ließ die Tränen laufen, bis keine einzige mehr übrig war und ihre Augen sich wie nach einem Sandsturm anfühlten. Dann wusch sie sich Hände und Gesicht mit ein paar Tropfen aus der Wasserflasche und stellte sich an das vergitterte Fenster an der Seite der Hütte. Würzige Luft strömte durch die Drahtmaschen, am Horizont erblühte ein zartrosa Lichtstreifen. Mit jeder Minute wurde es heller und langsam erwachte das Camp zum Leben. Graue Rauchfahnen kräuselten sich in der Luft und ein Geruch nach Holzkohle mischte sich unter den Duft des Regenwaldes. In der Ferne schlichen gebeugte Silhouetten durch das Morgengrauen. Schon bald untermalte rhythmisches Hacken dumpf den Morgengesang der Vögel. Langsam dämmerte Lea, was sie in ihrer Panik gestern nicht realisiert hatte. Das hier war kein Dorf und auch kein gewöhnliches Rebellencamp. Es war eine Mine! Das erklärte auch die vielen Männer, die gestern dreckig und schlammverkrustet Spalier gestanden hatten. Es waren keine Rebellen, sondern Schürfer, die sich auch in diesen frühen Morgenstunden wieder zu ihrem Tagewerk aufmachten. Und in irgendeiner Hütte da draußen schlief Mudaku seinen gut bewachten Schlaf. Lea konnte fast hören, wie der Groschen fiel. Sie vermutete, dass sie in der Coltan-Mine war, die in unmittelbarer Nähe des neuen WPS-Projektgebietes lag. Das hieß, sie befand sich im entlegenen Westteil des Kahuzi-Biega-Nationalparks. Genau dort, wohin Femi sie nicht mitnehmen wollte, weil es zu gefährlich war. Welche Ironie des Schicksals! Fast musste sie lachen. Wie lange kämpfte sie schon gegen Handyhersteller und andere High-Tech-Unternehmen, die illegal abgebautes Coltan aus dem Kongo nutzten? Coltan, mit dem die Rebellen ihre Waffen finanzierten. Coltan, das schon unzähligen Menschen und vielen ihrer Gorillas das Leben gekostet hatte. Wie Milla. Und jetzt war sie näher dran, als ihr lieb war. Eine Weile beobachtete sie die Männer, die zu den Gruben und Löchern pilgerten, Grabstöcke und Spitzhacken geschultert. Zu gerne hätte sie gesehen, was sich vor der Hütte abspielte, aber das war von ihrem Standort aus unmöglich. Die Tür öffnete sich. Lea blieb am Fenster stehen und wartete. Ihr Herz machte einen kleinen Sprung – sie war es. Ihre Wohltäterin trug das Kleid vom Vortag, nur das Kopftuch hatte sie gewechselt. Den gefüllten Napf stellte sie achtlos auf den Boden, machte eine abfällige Geste und lächelte. Dann wiederholte sich das Ritual vom Vortag. Die Frau raffte ihr Kleid und förderte eine flache Dose zutage. Leas Magen begann zu knurren. Sie streckte die Hände aus und die Frau legte die Dose wie einen Schatz vorsichtig hinein. Ein schneller Blick sagte Lea, dass es Fisch zum Frühstück geben würde. Sie bemühte sich, ihre Enttäuschung zu verbergen. Umständlich verstaute sie die Konserve in ihrer Hosentasche. Schon wollte sich die Frau umdrehen und die Hütte verlassen, als Lea sie am Ärmel festhielt. Überrascht blieb sie stehen.
    »Je suis Lea.«
    Es war einer der vier Standardsätze, die sie noch aus der Schulzeit behalten hatte. Die Frau lachte leise:
    »Je m’appelle Rana.«
    Lea hatte eine Freundin gefunden.
     
    Dagmar Elbmeier machte es sich mit der Decke im Fernsehsessel bequem. Der Tag war lang und hart gewesen und sie freute sich auf einen ruhigen Abend zu Hause. Die WPS-Chefin angelte die Fernbedienung von ihrem gläsernen Wohnzimmertisch und schaltete den Fernseher an. In den letzten Tagen war sie so gut wie nicht dazu gekommen, Zeitung zu

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