Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Bluterde

Bluterde

Titel: Bluterde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Praxmayer
Vom Netzwerk:
wieder bei Lea. Während sie die Tür im Auge behielt, beugte sie sich nach vorne und kämpfte sich durch die raschelnden Falten ihres Kleides. Geschickt förderte sie drei kleine Bananen zutage. Sie grinste Lea triumphierend an und hielt ihr die Früchte hin.
    Ungläubig schaute Lea zu ihrer Wohltäterin auf.
    »Merci«, stammelte sie und lächelte.
    Die Frau formte ihre rechte Hand zu einer Art Schnabel und führte sie an den Mund.
    »Manger!«
    Lea nickte, ein Gefühl von Dankbarkeit durchflutete sie. Draußen waren die lauten Stimmen von Männern zu hören. Die Frau bückte sich schnell und versteckte die Bananen hinter Leas Rücken. Dann nahm sie den leeren Blechnapf und schlurfte in ihren Flip-Flops zur Tür. Noch einmal drehte sie sich kurz um und winkte Lea schüchtern zu.
    »Dich hat der Himmel geschickt«, murmelte Lea leise.
    Nachdem sich die Tür wieder geschlossen hatte, rutschte sie zur Seite, um an die Bananen zu kommen. Als sie danach greifen wollte, sah sie eine fette Kakerlake, die es sich auf ihrem Essen bequem gemacht hatte. Lea wusste, dass dieses Insekt harmlos war, trotzdem konnte sie den aufsteigenden Würgereiz kaum kontrollieren. Schnell sprang sie auf die Beine.
    »Geh weg, du Vieh!«, zischte sie.
    Unbeeindruckt von Leas Beschimpfungen, tastete die Küchenschabe die Banane mit ihren langen Fühlern ab.
    »Hau ab!«, schrie Lea und stampfte mit den Füßen auf den Boden. Sie hatte sich erinnert, dass Kakerlaken empfindlich auf Erschütterung reagierten. Das Insekt schoss wie der Blitz in die nächste dunkle Ritze – so schnell, dass Lea ihm kaum mit den Augen folgen konnte. Mit spitzen Fingern hob sie die Bananen auf. Es war unmöglich, sie mit gefesselten Händen zu öffnen. Es gab nur einen Weg, um an das Fruchtfleisch zu kommen. In ihrem Gesicht zuckte es. Sie rieb die Banane an ihrem Hosenbein ab, dann biss sie mit Todesverachtung in die Schale. Geschafft! Gierig verschlang sie das süße Innenleben. Obwohl sie nach der zweiten immer noch hungrig war, beschloss sie, die letzte als Notration aufzubewahren. Sie schüttelte die Strohmatte, so gut es ging, aus und platzierte sie so geschickt, dass sie sowohl darauf sitzen als auch ihren Rücken vor unliebsamem Besuch aus der Bretterwand schützen konnte. Die Banane und die Wasserflasche legte sie neben sich. Sie dachte an die Frau in dem bunten Kleid. Lea war klar, dass sie beim Schmuggeln Kopf und Kragen riskierte. Hoffentlich kam sie morgen wieder. Sie wollte sie unbedingt nach ihrem Namen fragen. Langsam wurde es kühl und dunkel in der Hütte. Lea kauerte sich zusammen, so gut das im Sitzen möglich war. Um keinen Preis hätte sie sich auf die verwanzte Strohmatte gelegt. Mit jeder Nuance, die es draußen dunkler wurde, kroch auch die Verzweiflung wieder Stück für Stück aus ihrem Versteck. Gedanken, schwärzer als Rabengefieder, fraßen ihre Seele auf. Sie schlotterte am ganzen Körper, ihre Zähne klapperten. Warum war sie hier? Wollte Crocodile sie töten? Sie würde sterben. Ihr Kopf fühlte sich an wie ein heliumgefüllter Ballon. Ganz leicht, ganz leer schwebte er nach oben. Eine Frau auf einer Strohmatte. Schmutzige Finger, verschwitzte Haare. Noch mehr Helium. Die Hütte drehte sich wie ein Karussell. Kopf! Halte deinen Kopf fest. Wie in Zeitlupe sah sie ihre eigenen Hände. Zittrig, dreckige Fingernägel. Atme! Verdammt, Lea, atme! Sie tätschelte ihr Gesicht, als ob sie sich selbst aus einer Ohnmacht befreien wollte. Der Atem kam in kurzen, harten Stößen aus dem weit geöffneten Mund. Sie presste ihren Oberkörper nach vorne, umklammerte ihre Knie. Ihr Steißbein schmerzte. Ihre Arme und ihr Brustkorb auch. Sie konzentrierte sich auf die Schmerzen. Wenigstens etwas, das ihr real vorkam. Langsam wurde ihr Kopf wieder klar und der Atem ruhiger. Erschöpft lehnte sie sich an die Wand. Sie musste etwas tun, verhindern, dass die Panik wie eine Flipperkugel durch ihr Gehirn schoss und zum Selbstläufer wurde. Die Situation war auch so schon bedrohlich genug.
    Dr. B. fiel ihr ein, der in Isolierhaft einhundertfünfzig Schachpartien auswendig gelernt hatte, um in seinem Gefängnis nicht durchzudrehen. Fieberhaft überlegte sie, womit sie ihren aufgewühlten Geist ablenken könnte. Gedichte? Fehlanzeige. Mehr als eine Strophe vom Zauberlehrling oder dem Erlenkönig konnte sie nicht mehr aus ihrem Gedächtnis hervorkramen. Lea fing an, leise zu summen. Kinderlieder, Schlager, irgendwelche aktuellen Hits aus dem Radio. Ein

Weitere Kostenlose Bücher