Bluterde
irgendwelche Hinweise außer einem Rucksack.«
Der dickliche Polizeichef schnaubte verächtlich durch die Nase.
»Ich kann eine Vermisstenanzeige aufnehmen. Mehr kann ich im Moment nicht tun.«
Omari trat an den Schreibtisch des Polizeichefs, stützte sich auf die Lehne des Stuhls und brachte sein Gesicht in den Lichtkreis von Okitos Schreibtischlampe.
»Bitte helfen Sie uns. Sie ist nicht irgendeine Touristin, sondern die Leiterin unseres Gorillaprojekts in Deutschland.«
»Euer Gorillaprojekt interessiert mich nicht. Damit gibt es nur Scherereien. Ich werde nicht meine Männer in Gefahr bringen für eine Fremde, die vermutlich schon längst irgendwo tot im Gebüsch liegt.«
Femi, Omari und Vitale schnappten nach Luft. Okito musste gespürt haben, dass er zu weit gegangen war, denn er schob sofort eine Erklärung hinterher.
»Ihr wisst alle ganz genau, dass wir massive Probleme haben. Wie soll ich meinen völlig unterbezahlten Männern erklären, dass sie für ihren Hungerlohn jetzt auch noch ihr Leben im Dschungel aufs Spiel setzen sollen?«
»Was sind denn sonst so Ihre täglichen Aufgaben? Schutzgelder kassieren?«, fuhr Femi mit schneidender Stimme dazwischen. Ein hasserfüllter Blick von der anderen Seite des Schreibtisches traf ihn. Omari und Vitale sahen sich für eine Sekunde entsetzt an. Das speckige Gesicht des Polizeichefs hatte eine intensive Farbe angenommen, aber der befürchtete Ausbruch blieb aus. Stattdessen erschien ein gezwungenes Lächeln auf seinen Lippen.
»Wir schützen die Bevölkerung, machen Ganoven in der Stadt dingfest, helfen bei Katastrophen. Ich weiß nicht, wovon Sie sprechen.«
»Ach ja?«
»Ich kann Ihnen im Moment nicht helfen. Kommen Sie wieder, wenn Sie mehr wissen.«
Er versenkte seine Gabel in das kalte Hühnchen und säbelte mit dem Messer ein großes Stück Fleisch ab. Das Gespräch war beendet. Femi wollte gerade einen Schritt auf den Polizeichef zumachen, als ihn Omari am Handgelenk fasste und aus dem Dienstzimmer von Okito bugsierte. Kaum hatten sie sich auf der spärlich beleuchteten Straße ein paar Meter vom Polizeigebäude entfernt, stellte Vitale Matete Femi zur Rede.
»Was ist in dich gefahren, Femi? Wie konntest du Jean-Paul so attackieren? Er ist einer von den Guten! Auch wenn er sich nicht immer so verhält, wie du es erwartest: Der Mann ist integer. Und das ist hier ein seltener Charakterzug!«
Femi konnte sich nicht daran erinnern, den ICCN-Chef jemals so wütend erlebt zu haben.
»Sorry, Vitale, ich bin am Anschlag. Ich habe das Gefühl, niemand interessiert sich für Leas Entführung.«
»Deine Wutausbrüche helfen ihr nicht weiter. Das funktioniert vielleicht in Amerika, hier nicht.«
Vitale hatte recht. Obwohl er schon wieder einige Jahre im Kongo war, konnte er sich nicht an dieses System von Korruption und Selbstbedienung gewöhnen. Er schaute auf die Uhr. Es war kurz vor acht.
»Wir müssen zurück ins La Roche. McAllister wartet auf uns.«
Der Himmel öffnete seine Schleusen, als ob der nur auf dieses Kommando gewartet hätte. Tropfen klatschten schwer auf den bröckeligen Asphalt, der Geruch von Sommerregen lag in der Luft. Die Männer liefen zum Auto, das sie vor einer Kirche in der Nähe des Polizeipräsidiums geparkt hatten. Aus dem Gotteshaus drang fröhliche Musik und eine Traube zerlumpter Kinder stand vor der angelehnten Tür. Sie bewegten sich im Takt der rhythmischen Klänge, während ihnen die Haare nass am Kopf klebten. Auf dem Weg zum Hotel setzten sie Vitale Matete vor dem ICCN-Büro ab. Als sie wieder alleine im Auto waren, breitete sich ihr Schweigen wie dicker Nebel aus. Omari rutschte unruhig auf seinem Sitz hin und her.
»Jetzt spuck es schon aus!«, forderte Femi ihn auf.
»Was meinst du?«
»Dass ich mich wie ein Arschloch benommen habe.«
»Ehrlich gesagt dachte ich, du hättest dich besser im Griff.«
Femi sah Omari nicht an. Er wusste auch so, dass ihm die Enttäuschung quer über das Gesicht geschrieben stand. Als einer der ganz wenigen Menschen schaffte der Chef-Ranger es, ihm ein schlechtes Gewissen zu machen.
»Verdammt, Omari, unsere Projektleiterin ist entführt worden! Wir stecken ganz schön in der Scheiße!«
»Ist das deine einzige Sorge?«
»Himmelherrgott noch mal – ihr Leben steht auf dem Spiel!«
Femi brüllte die Windschutzscheibe an.
»Du stehst auf sie, oder?«
Der Primatologe hielt den Blick stur auf die Straße gerichtet.
»Und du weißt, dass du für das, was ihr zugestoßen
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