Bluterde
lesen, deshalb wollte sie jetzt wenigstens die Nachrichten sehen. Nicht, dass ihr der Sinn nach Krisen, Kriegen und Skandalen gestanden hätte, aber uninformiert durch die Welt laufen war für sie ein Unding. Zu oft hatten Ereignisse auf der politischen Weltbühne unmittelbare Auswirkung auf eines ihrer Artenschutzprojekte. Palmöl als Rohstoff für die Herstellung von Biokraftstoffen war so ein Thema. Die Förderung von Biosprit hatte ihr Orang-Utan-Projekt in Indonesien in große Schwierigkeiten gebracht. Großkonzerne begannen, riesige Flächen Regenwald abzuholzen, um Platz für Palmölplantagen zu schaffen. Nicht immer ging es dabei mit rechten Dingen zu, und statt der Sorge um die Umwelt stand meist Profitgier im Vordergrund. Primärwald für Biosprit zu roden, der Lebensraum unzähliger Tierarten wie auch der bedrohten Orang-Utans war, ging in Dagmars Augen gar nicht und war alles andere als umweltverträglich. Die Nachrichtensprecherin moderierte einen Beitrag über die World IT Show in Korea an. Die neuesten Markttrends wurden präsentiert: Handys, noch flacher, noch leichter, mit noch mehr Features. Dagmar konnte den schicken Geräten nichts abgewinnen, sie sah in ihnen nur Coltanfresser. Sie dachte an Lea. Wie es ihr wohl ging? Seit zwei oder drei Tagen hatte sie schon nichts mehr von ihrer Mitarbeiterin gehört. Das war nicht ungewöhnlich. Funktionierende Internet- und Telefonverbindungen waren eher die Ausnahme. Dagmar hatte ein schlechtes Gewissen, denn bis heute Mittag hatte sie keinen einzigen Gedanken an Lea verschwendet. Zu sehr war sie mit der Vorbereitung ihrer Präsentation über das Schneeleoparden-Projekt in Kirgistan, die sie auf einer Konferenz in Moskau halten musste, beschäftigt. Erst der Anruf von Herrn Messner von Movia brachte ihr Leas Kongotrip wieder ins Bewusstsein. Er hatte besorgt geklungen. Auch er hatte in den letzten Tagen keinen Kontakt zu ihr. Durch ihn erfuhr Dagmar, dass Lea sich bisher fast täglich mit einem kurzen Report bei ihm gemeldet hatte. Cleveres Mädchen, dachte Dagmar noch bei sich, sie weiß wirklich, wie man einen großzügigen Förderer hegt und pflegt. Weil die eMails plötzlich ausgeblieben waren, wollte Messner Erkundigungen einziehen. Dagmar war überrumpelt von dem unerwarteten Anruf und hatte versucht, ihn zu beruhigen. Sie versicherte ihm, dass Derartiges öfter vorkam, vor allem, wenn ihre Mitarbeiter auf Gorillapatrouille unterwegs waren. Dazu noch die schlechte Verbindung. Doch je länger sie mit dem Marketingmann redete, umso größer wurde ihre eigene Unruhe. Sie atmete auf, als Messner das Gespräch endlich beendete. Seither konnte sie das ungute Gefühl nicht mehr abschütteln. Sie saß vor ihrem Fernseher und starrte auf den Bildschirm. Die Nachrichten waren längst vorbei. Dagmar stand auf, holte ihr Handy von der Küchentheke und wählte Leas Nummer. Das ferne Freizeichen hatte einen schnarrenden Unterton, dann sprang Leas Mailbox an.
»Hallo Lea, Dagmar hier. Sag mal, wo steckst du? Ruf mich an, wenn du die Nachricht abgehört hast!«
Sie legte auf und überlegte kurz, Femi anzurufen. Aber sie wollte sich nicht als Glucke aufspielen und verwarf die Idee wieder. Stattdessen holte sie die offene Flasche Grauburgunder aus ihrem Kühlschrank, goss sich ein Glas ein und kuschelte sich wieder in ihren Fernsehsessel. Sie wird sich schon melden, beruhigte sie sich selbst und schaltete zu ihrer Lieblingsserie um.
Der Polizeichef von Bukavu blickte verärgert auf die kleine Delegation, die sich vor seinem Schreibtisch aufgebaut hatte. Jean-Paul Okito war als gutmütiger Mann bekannt, aber er galt auch als äußerst empfindlich, wenn jemand an seiner Ehre rührte. Vitale Matete von der ICCN, der ihn seit Jahren gut kannte, hatte den Termin für sie eingefädelt. Noch im Auto hatte er Femi und Omari ein paar Tipps zum Psychogramm des Polizeichefs gegeben.
»Eine verrückte, weiße Touristin macht sich alleine mit einem Halbwüchsigen auf in den Dschungel, verschwindet und wir sollen die Sache richten? Wie stellt ihr euch das vor?«
Wütend fegte Okito ein paar Krümel von seinem Abendessen, bei dem sie ihn gestört hatten, vom Tisch. Er hatte sich offensichtlich schon auf eine gemütliche Nachtschicht eingestellt.
»Sie wurde entführt, Jean-Paul«, erwiderte Vitale Matete ruhig.
»Macht keinen Unterschied. Ihr wollt, dass ich eine Einheit mobilisiere und Tausende Quadratmeter Dschungel nach ihr durchkämme. Ohne Anhaltspunkte, ohne
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