Bluterde
über die schmalen Schultern. Dieses Mal ließ er sie gewähren. Als der Preisboxer sie anschrie, schreckte Lea wie aus einem Traum hoch. Er hielt ihr eine Banane hin und gab ihr zu verstehen, dass sie das Tier füttern sollte. Lea riss die Schale auf, brach ein Stück ab und hielt es dem Kleinen hin. Seine Nasenlöcher blähten sich, als er daran schnüffelte. Mit spitzen Lippen knabberte er an der Frucht, sie konnte seine rosarote Zunge sehen.
»Komm! Iss ein bisschen!«
Sie schob ihm das Stück Banane in den Mund und hoffte, dass er es schlucken würde. Noch bevor sie ein zweites Stück nachschieben konnte, fasste sie der Preisboxer am Arm und zog sie vom Käfig weg. Grob stieß er sie zurück an ihren Platz und fesselte ihr die Hände auf den Rücken. Gerade als sie protestieren wollte, stülpte er ihr einen Sack über den Kopf. Ihr Herz raste. Der raue Stoff roch muffig, feine Partikel lösten sich aus dem Gewebe und reizten ihre Nasenschleimhaut. Sie schloss die Augen und versuchte, flach durch den Mund zu atmen. Ängstlich wartete sie darauf, dass etwas passierte. Ein Ruck ging durch die Maschine, sie waren gelandet. Sie hörte, wie die Tür aufging und der Preisboxer sich mit jemandem unterhielt. Der andere Mann sprach Französisch mit starkem Akzent. So etwas hatte sie vor ein paar Tagen schon einmal gehört. Der kehlige Unterton, das war eindeutig Russisch.
»Wolodja? Bist du das?«
Die Männer verstummten. Als Antwort kam ein raues Lachen, dann nahmen sie das Gespräch wieder auf. Die fremdartige Sprachmelodie umspülte ihre Ohren. Nein, das war nicht Wolodja. Ihre Fantasie hatte ihr einen Streich gespielt. Was sollte der Pilot auch mit den Rebellen zu tun haben? Nach einer Weile stellte der Preisboxer Lea auf die Beine und hob sie aus dem Helikopter. Er hielt sie fest am Oberarm gepackt und marschierte los. Sie stolperte neben ihm her, kam sich vor wie ein Stück Vieh. »Hey, nicht so schnell!«
Zu ihrem Erstaunen verlangsamte er seine Schritte. Der Grund war allerdings nicht ihr lautstarker Protest, sondern ein Fahrzeug, das mit laufendem Motor vor ihnen stand. Lea konnte den Gestank nach Auspuffgasen durch den Jutesack riechen. Noch mehr Stimmen, noch mehr Lachen, noch mehr Palaver. Leas Magen ballte sich zusammen, am liebsten hätte sie vor Wut die ganze Welt zusammengeschrien. Was waren das nur für Menschen? Wieso konnte hier jemand einfach mit einer Geisel rumspazieren? Sie hatte einen Sack über dem Kopf und war gefesselt, das musste doch irgendjemandem auffallen, selbst im Kongo! Lea war sicher, dass sie auf einem Flugplatz war. Sie konnte hören, wie im Hintergrund Maschinen starteten und landeten. Vielleicht war jemand in der Nähe, der ihr helfen konnte? Sie musste zumindest versuchen, auf sich aufmerksam zu machen.
»Hilfe! Bitte helfen Sie mir!«
Sie schrie aus Leibeskräften. Der Preisboxer brüllte sie an und schüttelte sie wie eine Puppe.
»Lass mich los! Lass mich verdammt noch mal los!«
»Madame Lea, bitte benehmen Sie sich!«
Lea blieb der nächste Fluch im Hals stecken. Madame Lea? Wer zur Hölle war das? Sie kannte die Stimme nicht, aber es gab nur eine einzige Person, die sie so nannte.
»Schon besser.«
»Wer sind Sie?«
Erwartete sie wirklich, dass er ihr antworten würde? Der Mann stand jetzt ganz dicht bei ihr, sie konnte sein Rasierwasser riechen. Tief sog sie den herben Geruch nach Leder und Tabak ein. Er tätschelte ihren Oberarm.
»Wir werden jetzt eine kleine Reise mit dem Auto machen. Verhalten Sie sich ruhig und Ihnen wird nichts geschehen. Machen Sie Ärger …«
»Was dann?«, spuckte sie ihm entgegen.
»Dann werden wir Sie erschießen.«
Seine Stimme war schneidend geworden. Unvermittelt wechselte der Mann wieder ins Französische. Wer auch immer dieser Mann war, er konnte sie verstehen und das musste sie nutzen. Ihre Neugierde übertrumpfte die Angst. Die letzten Tage hatten tiefe Narben, aber auch einen dicken Panzer und eine ordentliche Portion Wut bei ihr hinterlassen.
»Hey Sie, hören Sie mich? Ich habe Durst!«, platzte sie in das Gespräch. Nach einem kurzen Wortwechsel machte sich jemand an dem Jutesack zu schaffen und schob ihn ein Stück nach oben, gerade so viel, dass die untere Gesichtshälfte frei war. Sehen konnte sie noch immer nichts. Sie spürte das harte Plastik einer Flasche an ihren Lippen und öffnete den Mund. Ein großer Teil des Wassers rann ihr über das Kinn. Wer zum Teufel bist du?, dachte sie. Die Flasche verschwand und
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