Bluterde
der Sack rutschte wieder bis unter ihr Kinn. Jemand drückte ihren Kopf nach unten und bugsierte sie in ein Auto. Für einen kurzen Moment genoss sie den Luxus der weichen Lederpolster und den angenehmen Duft. Zwei Männer rutschten rechts und links neben sie auf die Sitzbank. Ein durchdringender Schweißgeruch fuhr ihr in die Nase. Vor ihr klingelte ein Handy. Lea bemerkte, dass der Unbekannte im Wagen saß und das Gespräch annahm. Der Mann sprach gut Englisch, war gepflegt, hatte ein anständiges Auto und ganz offensichtlich einen Fahrer. Sie musste an die Bonzen-Villen am Kivu-See denken. Was hatte Femi gesagt? Diese Häuser werden für treue Regime-Anhänger, Politiker und Militärs, gebaut, die in vielen Fällen in den illegalen Coltan-Handel verstrickt sind. War der Typ einer von ihnen? Der Gedanke, dass sie vielleicht gerade durch Bukavu fuhren, möglicherweise sogar in der Nähe von McAllister und Femi, brachte sie fast um den Verstand.
»Wir sind in Bukavu, stimmt’s?«
Der Unbekannte lachte leise.
»Warum wollen Sie das wissen?«
»Weil ich nichts sehen kann.«
»Sie müssen nichts sehen.«
»Sie haben Angst, dass ich Sie wiedererkenne.«
»Reine Vorsichtsmaßnahme. Obwohl ich nicht glaube, dass wir uns in diesem Leben noch einmal wiedersehen.«
Das Auto stoppte und Lea bedauerte, dass die bequeme Fahrt vorbei war. Nachdem sie ein kurzes Stück gegangen waren, wurde ihr plötzlich der Jutesack vom Kopf gezogen. Lea sah sich um. Sie war in einem winzigen Lagerraum gelandet. Sackkarren lehnten an der Wand, daneben stapelten sich leere Säcke, Fässer und Holzkisten. Fenster gab es keines, nur eine trübe Glühbirne spendete etwas Licht. Der Preisboxer schubste sie an die Wand und ging nach draußen. Als er zurückkam, zog er den Käfig mit dem kleinen Gorilla hinter sich her. Er rief ihr etwas Unverständliches zu und verschwand. Lea hörte noch, wie ein Schlüssel im Schloss umgedreht wurde, dann war sie mit dem kleinen Affen allein.
Peter Messner war nervös. Die Sache mit Lea Winter schlug ihm auf den Magen. Der Marketingvorstand von Movia schlief seit einigen Tagen schlecht, das machte sich jetzt bemerkbar. Er strich seine Krawatte glatt, nahm im Stehen noch einen Schluck aus der Espressotasse und griff nach seinen Unterlagen. Über siebzig geladene Gäste warteten im großen Vortragssaal – lokale Politikgrößen, Journalisten, Zulieferer, Kunden – und er hatte keine Ahnung, wie er in diesem Zustand den charmanten Moderator geben sollte. Akribisch hatte er diesen Festakt vorbereitet. Er wollte den Großen Preis des Mittelstands im Beisein der Öffentlichkeit zelebrieren. Ein Vortrag der attraktiven Biologin über ihr Gorilla-Projekt im Kongo, das Movia großzügig förderte, war ein wichtiger Bestandteil seines Konzeptes gewesen. Er hatte das Szenario genau vor sich gesehen: leuchtende Augen bei den Männern und feuchte bei ihren Gattinnen, wenn sie die Bilder der Gorillababys sahen. Perfekt. Und jetzt das. Als seine Assistentin die Espressotasse abräumen wollte, blaffte er sie an. Helga Meiers Hand zuckte sofort zurück. Seit mehr als sieben Jahren arbeitete sie für Messner, aber noch nie hatte sie ihn in einer solchen Verfassung erlebt. Ihr abgeklärter, souveräner Chef, der immer alles und vor allem sich selbst im Griff hatte.
»Möchten Sie noch einen?«, fragte sie, um die Situation zu entspannen.
»Wollen Sie, dass ich auf der Bühne einen Herzinfarkt bekomme? Rufen Sie lieber Ulrich an und sagen Sie ihm, dass ich ihn in zwei Minuten in seinem Büro abhole.«
Ohne ein weiteres Wort stürmte der Marketingmann aus dem Büro.
»Ich muss mich hier wirklich um jeden Mist selbst kümmern«, fluchte er leise vor sich hin, während er die Glaswand entlanglief, hinter der die verwaisten Büros der leitenden Angestellten lagen. Im Eckbüro am Ende des Gangs residierte Hans Ulrich, Vorstandsvorsitzender von Movia. Messner konnte sehen, dass er noch am Telefon war. Angewidert beobachtete er, wie sich das Hemd über den mächtigen Bauch seines Chefs spannte. Er klopfte an die Glasscheibe und zeigte demonstrativ auf seine Uhr. Als Ulrich fünf Minuten später endlich den Hörer auflegte und das zerknitterte Sakko von der Stuhllehne angelte, war Messner auf hundertachtzig.
»Na, dann packen wir’s mal!«, trällerte Ulrich, als er durch die Tür kam, und klopfte ihm jovial auf die Schulter.
»Schauen Sie nicht so verbissen, Messner! Ohne uns können die sowieso nicht anfangen.«
»Sie
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