Bluterde
Körpersprache war selbstbewusst, die Stimme laut. Aus dem Augenwinkel nahm Lea wahr, dass der Preisboxer ihn ebenfalls beobachtete. Wie gehörten die beiden zusammen? Seiner finsteren Miene nach zu urteilen, waren sie nicht unbedingt Freunde. Einer der Typen, die Ado nach draußen getragen hatten, tauchte auf der Ladefläche eines Lasters auf und winkte zu ihnen herüber. Der Preisboxer wuchtete sie auf den LKW und übergab sie an den Arbeiter, der sie durch einen schmalen Gang zwischen hoch aufgestapelten Säcken bugsierte. Das Neonlicht der Halle wurde durch die Plane des LKWs stark gedämpft, aber Lea erkannte sofort, was an der Rückwand der Fahrerkabine stand. Ihr Herz hüpfte. Der Käfig mit Ado! Der kleine Gorilla hatte sich in die hinterste Ecke gedrängt und klammerte sich an den Jutesack. Der Mann gab ihr zu verstehen, dass sie sich setzen sollte. Lea ließ sich neben Ado auf die Ladefläche sinken. Sofort kam das Tier aus seiner Ecke und drückte sich neben sie an den Käfig. So gut es ging, steckte Lea ihre Finger durch die Holzstäbe, kraulte und beruhigte ihn. Obwohl ihre Lage alles andere als rosig war, fühlte sie für den Bruchteil einer Sekunde so etwas wie Glück. Der Mann kam wieder, warf ihr eine Flasche Wasser und ein paar Bananen zu, dann fing er an, den Gang mit Säcken zu verbarrikadieren. Er ließ genug Platz, dass Lea aufstehen und ein paar Schritte machen konnte. Erst als der Motor ansprang und der LKW losfuhr, wurde Lea bewusst, dass dieses wacklige Konstrukt zur tödlichen Falle für sie und Ado werden konnte. Eine scharfe Bremsung und die schweren Coltansäcke würden sie zermalmen. Sie blickte auf ihre dreckigen Finger, die durch Ados Fell wanderten, und wunderte sich, dass sie nicht in Panik ausbrach. Nicht einmal ihre Handflächen juckten. Ein Rascheln unterbrach ihre Gedanken und ließ sie nach oben schauen. Dort, in dem Spalt zwischen Ladung und Plane, tauchte ein Gesicht unter einem abgewetzten Cowboyhut auf. Gleich daneben stach der Lauf einer Maschinenpistole in die Luft. Der Mann grinste so breit, dass sie den Kaugummi zwischen den Zähnen sehen konnte. Er rief ihr etwas zu, dann verschwand der Hut wieder. Ein Cowboy als Bewacher. »Surreal«, schoss es ihr durch den Kopf. Das Wort hallte lange in ihrem Gehirn nach und sie realisierte, dass dieses Wort tatsächlich ihre Empfindung widerspiegelte. Etwas hatte sich wie eine bunte Glasscheibe zwischen sie und ihre Angst geschoben. Eine Schutzschicht, die verhinderte, dass sie durchdrehte. Plötzlich wurde es im LKW stockdunkel. Sie hatten die beleuchtete Lagerhalle verlassen und fuhren hinaus in die Nacht.
»Hey, pass auf, wo du hinfährst!«, rief McAllister, als der Landrover in Richtung Gegenfahrbahn steuerte. Widerwillig konzentrierte sich Femi wieder auf die Straße. Sein Gehirn versuchte krampfhaft zu verarbeiten, was McAllister gerade erzählt hatte.
»Was, denkst du, haben sie gesucht?«
»Ich schätze, meine Unterlagen.«
Er klopfte auf seine braune Ledertasche im Fußraum.
»Vielleicht wollten sie herausfinden, wie viel wir wissen. Ich werte das als gutes Zeichen, auch wenn ich auf das Chaos in meinem Zimmer hätte verzichten können. Sie haben Angst.«
»Gutes Zeichen? Bist du völlig bescheuert? Das könnte Leas Todesurteil sein!«, gab Femi mit aufgebrachter Stimme zurück.
»Glaub mir, ich versuche, alles zu vermeiden, was ihre Lage noch verschlimmern könnte. Aber freiwillig werden sie uns Lea und die Hintermänner nicht liefern.«
»Ja, ja, ich weiß. Deine Ermittlungen.«
McAllister war der spöttische Unterton in Femis Stimme nicht entgangen und beglückwünschte sich zu seiner Entscheidung, ihm das Polaroid verschwiegen zu haben. Wer weiß, dachte er, wie unser liebestoller Kater dann reagiert hätte. Femi und Lea. Der Gedanke spukte ihm schon eine ganze Weile im Kopf herum. Ob da was lief zwischen den beiden? Die Frage brannte ihm auf der Zunge, aber er wusste ganz genau, dass es für ihre Zusammenarbeit nicht hilfreich wäre – egal wie die Antwort ausfallen würde. Sie rollten langsam auf das Tor des Monuc-Stützpunktes zu, und nachdem sie das gleiche Prozedere wie am Vortag durchlaufen hatten, steuerten sie auf das Lazarett zu.
Dr. Singh hatte dienstfrei, aber dafür nahm sie die nette Krankenschwester in Empfang, die ihnen am Vortag Blut abgezapft hatte.
»Wie geht es ihm?«
Die Krankenschwester sah McAllister lange an.
»Ich habe gerade seine Wunde versorgt, die sieht gut aus. Aber sein
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