Bluternte: Thriller
weitergingen. »Beide Kirchen, die alte und die neue, sind auf einem steilen Hügel erbaut worden, also musste das Gelände sehr intensiv terrassiert werden, um den Friedhof anzulegen. Die Mauer, die wir hier vor uns sehen, ist nach allem, was man mir gesagt hat, vor etlichen hundert Jahren errichtet worden, aber auf dieser Seite war sie sehr viel höher als auf der Kirchenseite. Können Sie mir folgen?«
»Ja, das weiß ich«, sagte Harry, als sie den Rand des Grundstücks der Fletchers erreichten. »Gareth Fletcher hat das ein paarmal erwähnt. Er wollte einen Gutachter holen, er hatte Bedenken wegen der Standfestigkeit der Mauer.«
»Da hatte er auch recht.« Die beiden Männer standen jetzt neben dem Haus. Eine weitere riesige Plane war von hier bis zur Kirchenmauer gespannt worden, so dass ein trockener Raum entstanden war, wo das Spurensicherungsteam seine Ausrüstung lagern konnte. Zwar kam der Regen nicht bis dorthin, doch schien das Wetter trotzdem wild entschlossen, sich nicht ignorieren zu lassen. Regentropfen droschen auf das Plastikdach ein, das der Wind ständig und geräuschvoll in Bewegung hielt.
»Man hat mir gesagt, es gibt einen unterirdischen Wasserlauf, direkt unter der Kirche«, fuhr Rushton fort. Er zog seinen Overall aus und bedeutete Harry, dasselbe zu tun. »Normalerweise ist das kein Problem, aber wenn es heftig regnet wie in den letzten paar Tagen, dann läuft der Kirchenkeller voll. Das umliegende Gelände wird sumpfig. Haben Sie das gewusst?«
»Ja.« Harry balancierte auf einem Bein, mühte sich ab, einen zu engen Stiefel auszuziehen, und sah sich nach seinen Schuhen um. »Gareth und ich sind vor ein paar Wochen mal um das Kirchengrundstück rumgegangen. Ich war auch der Meinung, dass die Mauer nicht allzu stabil aussieht, aber es gibt da ein Prozedere, das ich befolgen muss, wenn irgendetwas auf dem Kirchengelände instand gesetzt werden soll. Ich hatte das Ganze schon angeleiert, aber normalerweise dauert so was Wochen, manchmal sogar Monate.«
»Also, Brian, ist es das Grab meiner Enkelin?«
Harry und Rushton drehten sich um und sahen, dass Sinclair Renshaw von der Einfahrt der Fletchers her in das Zelt getreten war. Die Finger seiner rechten Hand umklammerten eine Zigarette. Harry hatte ihn noch nie rauchen sehen.
»Es sieht so aus«, antwortete Rushton. »Es tut mir sehr leid.«
Sinclair nickte, ein einziges Mal.
»Wissen Jenny und Mike Bescheid?«, erkundigte sich Harry. »Soll ich –«
»Ich habe darum gebeten, dass man es ihnen erst morgen früh sagt«, unterbrach Sinclair ihn. »Christiana hat in der Sakristei Kaffee gekocht. Sie sollten in die Kirche raufkommen. Dort ist es wärmer.«
Harry zog seine Jacke an. »Was passiert jetzt?«, fragte er Rushton.
»Nun ja, so seltsam es ist, aber es gibt Vorschriften für Fälle wie diesen«, antwortete der Detective und bedeutete ihnen, das Zelt zu verlassen. »Wenn sterbliche Überreste auf einem Grundstück entdeckt werden, das der Kirche gehört, müssen sie vom Fundort entfernt und von einem von der Polizei bestellten Pathologen untersucht werden. Wenn der feststellt, dass es sich um sehr alte Gebeine handelt, wenden viele die Hundert-Jahre-Regel an: Sie werden schlicht und einfach dem zuständigen Geistlichen zurückgegeben – in diesem Falle Ihnen, und der ist dann dafür zuständig, sie umzubetten.«
»Ja, ich glaube, das wusste ich«, pflichtete Harry ihm bei. »Allerdings ist mir so etwas noch nie untergekommen.«
»Hier ist so etwas ganz bestimmt noch nie passiert«, sagte Sinclair.
»Wenn die Gebeine andererseits, sagen wir mal, frischer sind, dann müssen wir die Identität des Toten bestätigen«, fügte Rushton hinzu. »Uns vergewissern, dass der Leichnam wirklich derjenige ist, dessen Name auf dem Grabstein steht. Können Sie mir folgen, Reverend?«
»Ja, natürlich.«
»Ist die Identität bestätigt, übergeben wir die sterblichen Überreste Ihnen und den Angehörigen und lassen Sie die Umbettung arrangieren.«
»Noch eine Beerdigung.« Sinclair fuhr sich mit der Hand übers Gesicht. »Das wird zu viel für Jenny. Wie kann man von einer Mutter verlangen, ihr Kind zweimal zu begraben?«
51
»Wir sollten einen Einbruch nicht ausschließen«, gab Harry zu bedenken. »Tom könnte die Wahrheit sagen.«
Gareth hielt mit beiden Händen einen Kaffeebecher. Seine Hände sahen unnatürlich weiß aus, die Finger waren ein wenig bläulich. Harry merkte, wie er mitfühlend erschauerte. Er konnte die
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