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Bluternte: Thriller

Bluternte: Thriller

Titel: Bluternte: Thriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sharon Bolton
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und damit in seinem Zuständigkeitsbereich gefunden worden –, hatte er gehofft, in der hintersten Ecke stehen zu können. Daraus wurde allerdings nichts. Niemand würde heute allzu weit vom Geschehen entfernt sein – es war einfach zu eng hier drin. Ein Edelstahltresen, fast einen Meter breit, zog sich um den ganzen Raum herum. Der Boden war gefliest und schien leicht geneigt zu sein, damit man ihn leichter zu dem Abfluss in der Mitte hin abspritzen konnte. Über dem Tresen säumten verglaste Hängeschränke die Wände. Drei Bahren standen in der Mitte des Raumes. Sie ließen dem Pathologen, seinen beiden Assistentinnen, dem Team aus drei Polizisten und ihm selbst nur wenig Platz. Harry hatte bereits zweimal zur Seite treten müssen, weil er im Weg gestanden hatte. Er sah auf die Uhr. Sie waren noch keine fünf Minuten hier.
    »Dieser Leichnam hier«, fuhr der Pathologe – Harry war ihm vor einer Viertelstunde vorgestellt worden, konnte sich jedoch nicht mehr an seinen Namen erinnern – fort und trat an die erste Bahre, »fürs Erste nennen wir ihn St. Barnabas Nummer eins, hat am längsten in der Erde gelegen. Wir sehen eine fast vollständige Skelettisierung; Thorax und Körpermitte werden nur noch von Muskel- und Bänderresten zusammengehalten.« Er ging um die Bahre herum zum Schädel des Leichnams. »Der rechte Arm scheint an der Schulter abgebrochen zu sein, als das Grab zerstört wurde«, dozierte er, »und ein Teil der linken Elle wurde noch nicht gefunden. Mehrere Mittelhandknochen der linken Hand fehlen ebenfalls. Das Gehirn und die inneren Organe werden natürlich längst nicht mehr vorhanden sein. Wir haben Spuren von Stoffresten im Bereich des Oberkörpers gefunden und zwei kleine weiße Knöpfe, die in den Brustkorb gefallen waren.«
    »Lucy Pickup wurde vor zehn Jahren beerdigt«, meinte Rushton. »Entspricht das …?«
    Der Pathologe hob die Hand. »Das Ausmaß der Skelettisierung variiert stark«, gab er zu bedenken. »Das hängt von der Beschaffenheit des Erdreichs ab, vom Erfolg des Einbalsamierungsprozesses, so einer stattgefunden hat, von der Grabtiefe und so weiter. Die Erde in dem Gebiet, wo die Leichname gefunden wurden, ist alkalisch, was normalerweise die Verwesung verlangsamen würde, andererseits ist das hier ein kleines Kind. Sehr wenig Masse. Unterm Strich würde ich sagen, ein Zeitraum von fünf bis fünfzehn Jahren.«
    »Wir brauchen ein bisschen mehr, Raymond«, sagte Rushton, der am Fuß der Bahre Position bezogen hatte, direkt gegenüber von dem Arzt. Raymond, so hieß er. Raymond Clarke, einer von den Pathologen auf der Expertenliste der Polizei.
    »Was würden Sie sagen, wie alt sie ist?«, fuhr Rushton fort.
    »Ich fange doch gerade erst an«, gab Clarke zurück. »Und wir wissen auch noch gar nicht, ob Nummer eins eine Sie ist. Was das Alter betrifft, das sollte kein allzu großes Problem sein. Basierend auf dem Skelett haben wir ein geschätztes Längenmaß von siebenundachtzig Zentimetern, dadurch fällt unser kleiner Freund hier in die Altersgruppe fünfzehn bis sechsunddreißig Monate. Dann sehen wir uns die Verknöcherung an.«
    »Verknöcherung?«
    Clarke nickte knapp und energisch. »Verknöcherung tritt an achthundert Stellen des Körpers auf und kann sehr hilfreiche Hinweise auf das Alter liefern«, erklärte er. »Ein Säugling wird zum Beispiel ohne Mittelhandknochen geboren. Dann haben wir das Cranium. Es gibt fünf Hauptknochen im Schädel eines Neugeborenen, die nach und nach entlang spezieller, vorgegebener Verbindungsstellen miteinander verschmelzen, die man Schädelnähte nennt. Ein Neugeborenes weist außerdem mehrere Fontanellen oder weiche Membranstellen am Schädel auf. Bei unserem Freund hier sind sie geschlossen, was auf ein Kind von mindestens vierundzwanzig Monaten hinweist.«
    »Also zwischen zwei und drei Jahre alt?«, fragte Rushton. »Könnte es Lucy sein?«
    »Durchaus möglich«, antwortete Raymond. »Also sehen wir uns jetzt die Verletzungen an, die der Leichnam aufweist.
    Harry fragte sich, ob wohl noch jemandem so heiß war wie ihm. Wieso war es im Arbeitsraum eines Pathologen warm? Man würde doch bestimmt genau das Gegenteil erwarten, damit die Leichen sich hielten. Die beiden Polizisten, die Rushton ihm vorgestellt hatte – er konnte sich ums Verrecken nicht an ihre Namen erinnern –, standen wie zwei Statuen ein paar Zentimeter links von ihm. Einer von ihnen, groß und hager, sah aus wie Ende dreißig. Sein Haar war ebenso dünn

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