Bluternte: Thriller
Schlacht unmittelbar bevorstand, und so zerbeult und zittrig sie auch sein mochte, es war eine, die sie gewinnen musste. »Vielen Dank«, fuhr sie fort und rang sich ein Lächeln ab. »Ich reite gleich zurück.« Alles andere als bereit, wieder aufs Pferd zu steigen, trank sie das Wasser aus und setzte ihre Kappe wieder auf, fest entschlossen, Ich gehe jetzt- Signale auszusenden, denn sie wusste ganz genau, was jetzt kam.
Er schüttelte den Kopf. Nun, natürlich schüttelte er den Kopf. Er war groß und stark, im Vollbesitz seiner sämtlichen Gliedmaßen, und deshalb war er der Boss. »Ich setze Sie nicht wieder auf diesen Gaul«, verkündete er.
»Bitte?«
»Tut mir leid, meine Liebe, aber Sie sind gehbehindert, Sie haben einen ordentlichen Sturz hinter sich, und wahrscheinlich haben Sie eine Gehirnerschütterung. Sie können doch nicht sieben Kilometer übers offene Moor reiten.«
Tut mir leid, meine Liebe! Sie blickte auf das Straßenpflaster hinunter, damit sie ihn nicht zornig anfunkeln konnte, denn Behinderten war es nicht gestattet, wütend zu werden. Wenn sie in den letzten drei Jahren eins gelernt hatte, dann das. Normale Menschen, die wütend werden, sind einfach nur stinksauer, und das passiert uns allen mal. Wenn man behindert ist, bedeutet jedes Anzeichen von Zorn, dass man gestört ist, dass man Hilfe braucht, dass man nicht in der Lage ist …
»Danke, dass Sie sich so viele Gedanken machen«, sagte Evi, »aber, gehbehindert oder nicht, ich bin trotzdem für mein eigenes Handeln verantwortlich, und eigentlich brauche ich auch gar keine Hilfe beim Aufsteigen. Bitte lassen Sie sich durch mich nicht aufhalten.«
Sie gab ihm das Glas zurück und schob sich seitlich von der Bank. Es wäre weitaus besser, wenn er sie jetzt in Ruhe lassen würde.
»Und wie soll das gehen?« Er hatte sich nicht von der Stelle gerührt.
»Bitte?«, fragte sie abermals.
»Wenn man bedenkt, dass Sie nicht allein aufstehen konnten und hierhergetragen werden mussten, wie genau haben Sie da vor, fünfzehn Meter den Hügel hinunterzugehen und wieder auf ein ausgewachsenes Pferd zu steigen?«
»Schauen Sie zu, dann können Sie was lernen.«
Sie stemmte sich hoch. Die Mauer war nur einen guten halben Meter entfernt, sie würde sie beim Bergabgehen stützen.
»Moment. Lassen Sie uns einen Deal machen.«
Er stand direkt vor ihr. Allein bis zur Mauer zu kommen war möglich, zuerst um ihn herumzumanövrieren wahrscheinlich nicht.
»Was?«
»Wenn Sie sich einverstanden erklären, sich noch zehn Minuten auszuruhen und mich sofort anrufen, wenn Sie wieder im Stall angekommen sind, helfe ich Ihnen beim Aufsteigen und bringe Sie zurück zum Reitweg.«
Jetzt feilschte sie also mit einem Mann, den sie eben erst kennengelernt hatte, um grundlegende Freiheiten. »Und wenn ich nicht einverstanden bin?«
Er zog ein Handy hervor. »Dann rufe ich beim Reitstall Bracken Farm an und erzähle denen genau, was passiert ist. Wahrscheinlich sind die schon unterwegs, bevor Sie am Ende der Mauer angekommen sind.«
»Arschloch.« Es rutschte ihr heraus, ehe sie sich auf die Zunge beißen konnte.
Er hielt das Handy hoch.
»Gehen Sie mir aus dem Weg.«
Er tippte ein paar Zahlen. »Hi«, sagte er nach ein paar Sekunden. »Ich hätte gern die Nummer eines Reitstalls …«
Evi hob resigniert die Hände und setzte sich wieder. Der Mann entschuldigte sich bei dem Mitarbeiter der Auskunft und steckte das Telefon wieder ein. Dann setzte er sich neben sie, während Evi demonstrativ auf die Uhr sah. Sie wusste, dass sie sich kindisch benahm, und es war ihr vollkommen schnuppe.
»Eine Tasse Tee?«, bot er an.
»Nein, danke.«
»Noch ein Glas Wasser?«
»Nur wenn Sie lange brauchen, um es zu holen.«
Der Mann gab ein leises, verlegenes Lachen von sich. »Junge, Junge«, meinte er, »so viel Erfolg hatte ich nicht mehr bei einer Frau, seit ich mich bei der Hochzeit meines Cousins betrunken habe und die Trauzeugin vollgekotzt habe.«
»Ja, na ja, ich bin ungefähr ebenso erfreut darüber, mich in Ihrer Gesellschaft zu befinden, wie sie es gewesen sein muss.«
»Wir waren anderthalb Jahre zusammen.«
Schweigen. Wieder schaute Evi auf die Uhr.
»Also, was halten Sie von Heptonclough?«, erkundigte er sich.
Evi saß da und sah starr geradeaus, entschlossen, nichts anderes anzusehen als die kleine Treppe und die winzige Straße gegenüber, kaum breiter als die Armspanne eines erwachsenen Mannes. Plötzlich hatte sie das Bedürfnis, die Kappe wieder
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