Bluternte: Thriller
Dame handeln musste, der er gerade begegnet war. Dr. Oliver.
»Super«, lobte er.
»Ich fühle mich besser«, sagte Gillian. »Wirklich. Dr. Oliver hat mir Tabletten verschrieben, damit ich besser schlafe. Ich habe so lange nicht mehr richtig schlafen können.«
»Das freut mich.« Harry saß da, machte sein allerbestes Geduldig und interessiert -Gesicht und wartete ab, was sie als Nächstes sagen würde.
»Sind Sie gläubig, Gillian?«, erkundigte er sich, als ihm klar wurde, dass nichts mehr kommen würde. Manchmal war es am besten, gleich auf den Punkt zu kommen.
Sie starrte ihn an, als hätte sie nicht ganz … »Sie meinen, ob ich an Gott glaube?«
Er nickte. »Ja, genau das meine ich«, erwiderte er. »Jemanden zu verlieren, den man liebt, ist sehr schwer. Selbst der unerschütterlichste Glaube wird auf die Probe gestellt.«
Gillians Hand zitterte wieder. Sie würde sich noch an dem Tee verbrühen. Er nahm ihr den Becher ab und stellte ihn auf den Boden.
»Nachdem es passiert war, ist jemand gekommen, um mit mir zu reden«, sagte sie. »Ein Priester. Er hat gesagt, Hayley wäre bei ihrem Vater im Himmel und sie wäre glücklich und das sollte mich trösten, aber wie kann sie denn ohne mich glücklich sein? Sie wäre doch ganz allein. Sie ist zwei Jahre alt, und sie ist allein. Das ist es, was ich einfach nicht in den Kopf kriege. Sie wäre doch bestimmt furchtbar einsam.«
»Haben Sie schon einmal jemanden aus Ihrer Familie verloren, Gillian?«, fragte Harry. »Leben Ihre Eltern noch?«
Sie sah verwirrt aus. »Mein Dad ist gestorben, als ich klein war«, sagte sie. »Und ich hatte eine kleine Schwester, die ist schon vor langer Zeit gestorben.«
»Das tut mir leid. Was ist mit Großeltern? Haben Sie welche?«
»Nein, die sind alle gestorben. Was …«
Er beugte sich vor, hatte ihre beiden Hände ergriffen. »Gillian, es gibt da einen Text, der oft bei Beerdigungen vorgelesen wird, vielleicht haben Sie ihn schon einmal gehört. Ein Bischof hat ihn geschrieben, vor etwa hundert Jahren. Darin heißt es, der Tod eines geliebten Menschen ist, als stünde man am Ufer des Meeres und sähe zu, wie ein wunderschönes Schiff auf den Horizont zusegelt und verschwindet. Können Sie sich das einen Moment lang vorstellen? Ein blaues Meer, ein schön geschnitztes Schiff, weiße Segel?«
Gillian schloss die Augen. Sie nickte.
»Das Schiff wird kleiner und kleiner, und dann verschwindet es hinter dem Horizont, und jemand steht neben Ihnen und sagt: ›Sie ist fort.‹«
Tränen zeigten sich in den Winkeln von Gillians fest geschlossenen Augen.
»Aber auch wenn Sie sie nicht mehr sehen können, das Schiff ist immer noch da, es ist immer noch stark und schön. Und so, wie sie aus Ihrem Blickfeld entschwindet, erscheint sie an anderen Ufern. Andere Menschen können sie sehen.«
Gillian öffnete die Augen.
»Hayley ist wie dieses Schiff«, fuhr Harry fort. »Sie ist vielleicht aus Ihrem Blickfeld verschwunden, aber sie existiert noch, und dort, wo sie jetzt ist, gibt es Menschen, die sich freuen, sie zu sehen: Ihr Dad, Ihre Schwester, Ihre Großeltern. Sie werden für sie sorgen, und sie werden sie lieben, bedingungslos, bis Sie wieder bei ihr sein können.«
Das Aufheulen der jungen Frau zerriss ihm fast das Herz. Er blieb, wo er war, und sah zu, wie ihr schmächtiger Körper schluchzte und ihre Tränen auf seine Hände fielen. Fünf, vielleicht zehn Minuten lang weinte sie, und er hielt ihre Hände, bis er fühlte, wie sie sie wegzog. Er hatte keine Papiertaschentücher zur Hand, aber irgendwo in der Sakristei war eine Küchenrolle. Rasch ging er hinein, fand die Rolle neben dem Waschbecken und reichte sie ihr, als er zurückkam. Sie wischte sich das Gesicht ab und versuchte, zu ihm hinaufzulächeln. Ihre Augen, von Tränen umspült, waren fast silbern. Dr. Olivers Augen waren blau gewesen. Ein tiefes Veilchenblau.
In der Tasche seiner Shorts begann sein Handy zu klingeln. Er sollte es ignorieren, die Mailbox anspringen lassen, den Anrufer später zurückrufen, wer immer es auch war. Nur wusste er ganz genau, wer es war.
»Entschuldigung«, sagte er und stand auf. »Ich bin gleich wieder da.«
Er ging ein paar Schritte den Mittelgang hinunter und drückte auf »Annehmen«.
»Harry Laycock.«
»Berengaria hier.«
»Sind Sie heil angekommen, Dr. Oliver?«
»Also, das … das ist jetzt ein bisschen unheimlich. Wie haben Sie das gemacht?«
Harry schaute rasch den Gang hinauf, dorthin, wo Gillian saß und
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