Bluternte: Thriller
den Boden anstarrte. Sie war zu nahe, sie würde alles hören, was er sagte. »Meine Wege sind wunderbar, genau wie die von meinem Boss«, antwortete er.
Einen Augenblick lang herrschte Stille.
»Okay, vielen Dank für Ihre Hilfe«, ließ sich Dr. Olivers Stimme vernehmen. »Aber Duchess und ich sind beide wieder da, wo wir hingehören, und unser Abenteuer hat uns nicht geschadet.«
»Ich bin entzückt, das zu hören.« Jetzt sah Gillian ihn an. Diese Störung würde ihr nicht gefallen. Trauernde konnten ziemlich egoistisch sein. Kein besonders tolles Timing, Prinzessin. »Dann passen Sie mal gut auf sich auf«, sagte er. »Und grüßen Sie Duchess von mir.«
»Mach’ ich.« Die Stimme am Telefon war ausdruckslos geworden. »Wiedersehen.«
Sie war weg. Und er musste zu Gillian zurück. Die nicht mehr still ganz vorn im Chorstuhl saß, sondern aufgestanden war und in einer Gemütsverfassung um sich starrte, die man nur mit blankem Entsetzen beschreiben konnte. Es war, als hätte irgendetwas ihr Gesicht festgezurrt, es zu einer Maske werden lassen. Mit großen Schritten kam sie auf ihn zu. »Haben Sie das gehört?«, stieß sie hervor. »Haben Sie’s gehört?«
»Ich? Was denn?« Er hatte telefoniert. Was hätte er hören sollen.
»Diese Stimme, die ›Mummy‹ gerufen hat, haben Sie die gehört?«
Harry schaute sich um, erstaunt und ein wenig erschrocken über die Veränderung, die mit Gillian vorgegangen war. »Ich glaube, ich habe etwas gehört, aber ich habe mich gerade verabschiedet.« Er hielt das Handy hoch.
»Was?«, drängte sie. »Was haben Sie gehört?«
»Na ja, ein Kind, dachte ich. Ein Kind, draußen.«
Sie packte ihn am Arm, die Finger fest auf seiner nackten Haut. »Nein, das war hier drinnen. Es kam aus der Kirche.«
»Hier ist sonst niemand«, sagte er langsam. »Diese alten Gebäude können einen täuschen. Geräusche hallen hier ganz komisch wider.«
Gillian hatte sich ruckartig von ihm abgewandt und eilte fast im Laufschritt den Mittelgang wieder hinauf. Sie erreichte die Chorstühle und fing an, sie zu durchsuchen, erst den einen und dann den anderen.
Was in aller Welt?
Jetzt stürzte sie quer durch die Kirche, zog die Orgelbank hervor, rannte hinter den Altar und hob das Altartuch. Er hatte sie schon fast eingeholt, als sie anscheinend aufgab. Sie schluchzte einmal auf und sackte fast auf den Steinboden. Dann raffte sie sich auf und öffnete den Mund.
»Hayley!«, schrie sie gellend.
Harry blieb stehen. Auch er hatte Stimmen in der Kirche gehört. Und wie Menschen, die er nicht sehen konnte, hier herumliefen. Wieso hatte er dieses überwältigende Bedürfnis, hinter sich zu schauen?
Er drehte sich um. Außer ihm und Gillian war keine Menschenseele in der Kirche.
»Kommen Sie, ich bringe Sie nach Hause«, sagte er. »Wahrscheinlich brauchen Sie Ruhe.« Wenn sie ihm den Namen ihres Arztes verriet, könnte er ihn anrufen, könnte erklären, was los war, schauen, ob er veranlassen konnte, dass ihr sofort geholfen wurde. Er könnte auch versuchen, morgen selbst nach ihr zu sehen, nach der Morgenandacht. Als er sie erreichte, klammerte sie sich an ihn.
»Sie haben sie doch gehört, Sie haben Hayley gehört.« Sie bettelte jetzt fast, flehte ihn an, ihr zu sagen, dass sie nicht im Begriff sei, den Kontakt zur Wirklichkeit zu verlieren.
»Ich habe auf jeden Fall ein Kind gehört«, antwortete er, obwohl er sich ehrlich gesagt gar nicht so sicher war. Er hatte auf die Veränderung im Tonfall einer Frauenstimme geachtet und sich gefragt, was das wohl bedeutete. »Es ist möglich, dass ich ein Kind ›Mummy‹ habe sagen hören, aber wissen Sie, die Fletcher-Kinder haben fast den ganzen Nachmittag draußen vor der Kirche gespielt. Das könnte durchaus Millie gewesen sein, die wir da gehört haben.«
Gillian starrte ihn an.
»Kommen Sie«, sagte er, »gehen wir an die frische Luft. Ich bringe Sie nach Hause.«
Mit einem stummen Gebet, dass die Kinder der Fletchers dort draußen sein würden, einschließlich des jüngsten, führte Harry Gillian durch die Tür und hinaus in den Sonnenschein. Sie waren halb den Pfad hinunter, als ein Spielzeugpfeil an ihnen vorbeizischte, so dass Gillian zusammenzuckte. Harry drehte sich nach dem Garten der Fletchers zu seiner Rechten um und schaute direkt in die blauen Augen von Joe Fletcher. Ein paar Meter weiter kickte Tom einen Fußball gegen die Hauswand. Die Schwester der Jungen saß auf dem Boden und buddelte in der Erde.
»Daneben«, sagte
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