Bluternte: Thriller
besser.«
Gillians Haar war frisch gewaschen, ihre Kleider schienen sauberer zu sein. Sogar ein Hauch von Make-up war um diese eigenartigen silbergrauen Augen herum zu sehen. Heute Vormittag war es möglich, das attraktive junge Mädchen zu erkennen, das sie gewesen war, bevor ihr Leben aus den Fugen geraten war.
»Und mit den Medikamenten kommen Sie immer noch gut zurecht?«, erkundigte sich Evi.
Gillian nickte. »Ist wirklich erstaunlich, was für einen Unterschied das macht«, meinte sie. Dann verdüsterte sich ihre Miene. »Ich habe mit meiner Mum darüber gesprochen, was Sie mir verschrieben haben, und sie sagt, ich würde süchtig werden. Dass ich für den Rest meines Lebens Tabletten nehmen müsste.«
Besorgte Angehörige mit starren Ansichten waren nicht immer eine Hilfe.
»Machen Sie sich deswegen keine Sorgen«, beschwichtigte Evi und schüttelte den Kopf. »Abhängigkeit ist immer ein Risiko, das man bedenken muss, aber dem können wir zugleich vorbeugen. Die Medikamente, die ich Ihnen gegeben habe, sind eine vorübergehende Maßnahme. Ich habe vor, sie langsam abzusetzen, wenn wir beide der Meinung sind, dass Sie ohne sie klarkommen. Wie finden Sie die AA-Treffen?«
Wieder ein Nicken. »Die sind nett. Nette Leute. Ich habe seit vierzehn Tagen nichts mehr getrunken.«
»Das ist ja toll, Gillian, gut gemacht.«
Wirklich erstaunlich, die Veränderung der jungen Frau. Vor vier Wochen war Gillian kaum fähig gewesen, einen normalen Satz zu Ende zu bringen.
»Können wir uns darüber unterhalten, was Sie während der Woche gemacht haben?«, schlug Evi vor. »Haben Sie gegessen?«
»Ich versuch’s, aber … es ist komisch. Pete hat mich immer damit geärgert, dass ich zunehmen würde. Jetzt trage ich 34, und seine Freundin wird jede Woche fetter.«
Ihre Figur wurde wieder ein Thema für sie. Sie benutzte einen Ausdruck aus der Modebranche – Kleidergröße 34 – und war insgeheim stolz darauf.
»Haben Sie noch Kontakt zu Pete?«, fragte Evi. Gillians Exmann war bei zwei früheren Sitzungen ganz kurz zur Sprache gekommen. Beide Male hatte Gillian nicht über ihn reden wollen, und Evi konnte sich des Gedankens nicht erwehren, dass da jede Menge unterdrückte Wut ihrer Genesung im Wege stand. Jetzt waren Gillians Lippen fast verschwunden, als sie bloß den Namen des Mannes ausgesprochen hatte, und ein Muskel unter ihrem linken Auge zuckte.
»Sind Sie wütend auf ihn?«, fragte Evi, als Gillian keine Anstalten machte, die Frage zu beantworten. »Weil er weggegangen ist, während Sie getrauert haben?«
Gillians Augen wurden schmal. »Er hatte was mit einer anderen«, sagte sie und schaute über Evis Schulter hinweg zum Fenster. »Vor dem Brand. Er hatte da schon was mit ihr, mit dieser Frau, mit der er jetzt zusammen ist.«
Evi hatte sich gedacht, dass da irgendetwas war. »Es tut mir leid, das wusste ich nicht«, sagte sie. »Wie haben Sie es herausgefunden?«
Gillian blickte auf den Teppich hinunter. »Jemand hat es mir erzählt«, antwortete sie. »Eine Freundin von mir. Sie hat die beiden im Pub zusammen gesehen. Aber ich wusste sowieso Bescheid. Man weiß immer Bescheid, nicht wahr?«
»Aber Sie waren doch zusammen aus, an dem Abend, als es gebrannt hat. Vielleicht war es ja gar nicht so ernst, die Geschichte mit …«
»Wir waren nicht zusammen aus«, unterbrach Gillian sie. »Er war mit ihr unterwegs. Er hatte mich mit Hayley allein gelassen. Wieder mal. Also habe ich Barry Robinson angerufen und ihn gebeten, auf Hayley aufzupassen. Dann bin ich mit dem Bus in die Stadt gefahren. Ich habe meinem untreuen Ehemann nachspioniert, als mein Baby verbrannt ist.«
Das erklärte sicher eine Menge. Kein Wunder, dass die junge Frau das Gefühl hatte, sie wäre an allem schuld. Und noch weniger war es ein Wunder, dass der Ehemann ausgezogen war. Die beiden hätten sich doch kaum ins Gesicht sehen können, ohne von Schuldgefühlen schier überwältigt zu werden.
»Empfinden Sie noch etwas für Pete?«, erkundigte sich Evi.
»Er ist ein untreuer Dreckskerl«, knurrte Gillian. »Mein Stiefdad war genauso. Die meisten Kerle sind so. Nehmen sich, was sie kriegen können, ganz egal, mit wem.«
Sämtliche Alarmglocken schrillten in Evis Kopf. »Sie haben sich mit Ihrem Stiefvater nicht gut verstanden?« Gillians Stiefvater hatte seine Frau betrogen? Mit wem?
Gillian starrte immer noch den Boden an. Ihre Lippen waren verkniffen. Sie sah aus wie ein Teenager, der Ärger bekommt, weil er zu lange
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