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Bluternte: Thriller

Bluternte: Thriller

Titel: Bluternte: Thriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sharon Bolton
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gestattete es sich, wieder auf seine Hände hinunterzublicken. Sie umklammerten das hölzerne Geländer der Kanzel um einiges fester, als mit einem männlichen Auftreten vereinbar war. Geräuschlos drehte er sich um.
    Der Altarplatz schien leer zu sein, doch etwas anderes hatte er auch eigentlich nicht erwartet. Irgendjemand machte sich einen Spaß mit dem Vikar. Er drehte sich wieder zum vorderen Teil der Kirche um.
    »… und heilen hat seine Zeit … weinen hat seine Zeit, und lachen hat seine Zeit«, las er mit einer Stimme vor, die selbst dann zu laut wäre, wenn morgen Menschen in der Kirche saßen. In einem leeren Kirchenschiff klang sie ein wenig überdreht.
    »Töten hat seine Zeit«, flüsterte die Stimme.
    Himmelherrgott …
    Harry gab sich gar nicht erst mit den Stufen ab, er schwang die Beine über das Kanzelgeländer und ließ sich auf den Boden hinabfallen. Die Stimme war keinen Meter weit entfernt gewesen, da war er sich sicher. Nicht genug Zeit, dass jemand verschwinden könnte. Nur war der Betreffende verschwunden. Niemand saß in den Chorstühlen, niemand war in der kleinen Lücke hinter der Orgel, niemand versteckte sich hinter dem Altar, niemand im … Er hielt inne. Könnte da jemand in der alten Krypta sein? Könnten die Geräusche irgendwie nach oben dringen?
    »Alles in Ordnung, Reverend?«
    Harry drehte sich nach der neuen Stimme um. Jenny Pickup, Sinclairs Tochter, stand im Mittelgang und betrachtete ihn mit einer Miene, aus der gedankenverlorenes Interesse sprach. Harry fühlte, wie sein Gesicht glühte. Aus irgendeinem Grund schien Jenny ihn immer ein bisschen für eine Lachnummer zu halten.
    »Haben Sie jemals von einem geheimen Zugang zu diesem Gebäude gehört, Jenny?«, fragte er. »Vielleicht in den Keller unter uns? Einer, den Kinder aus dem Ort kennen könnten?«
    Sie schüttelte den Kopf. »Nicht dass ich wüsste«, erwiderte sie. »Wieso, ist etwas weggekommen?«
    »Nein, nichts dergleichen«, versicherte Harry rasch. »Es ist nur, ich bin die Predigt für morgen durchgegangen, und ich schwöre, ich habe gehört, wie jemand wiederholt hat, was ich gesagt habe.«
    Jenny trug ein blassrosafarbenes Sweatshirt, das ihr gut stand, und Reithosen mit schwarzen Stiefeln. »In diesem Gebäude hallt alles ganz komisch«, meinte sie nach einem Moment des Zögerns. »Dafür ist es bekannt.«
    »Es hat sich wirklich nicht angehört wie ein Echo«, entgegnete Harry. »Es hat sich angehört wie ein Kind. Und wenn es so war, dann muss ich dieses Kind finden, bevor ich abschließe.«
    Jenny war näher gekommen. Langsam wanderte ihr Blick durch die Kirche. »Lassen Sie mich heute Abend abschließen, Reverend«, sagte sie.
    »Sie?«
    »Ja.« Sie nickte mit einem kleinen, ein wenig traurigen Lächeln. »Ich bin gekommen, weil ich Sie kurz sprechen wollte. Und dann wollte ich hier ein bisschen allein sein. Was meinen Sie, wäre das okay? Ich verspreche Ihnen, ich sorge dafür, dass hier keine Menschenseele mehr ist, wenn ich gehe.«
    »Wenn Sie meinen«, antwortete er.
    »Kein Problem. Ich bringe Sie raus. Es ist ein wunderschöner Abend.«
    Harry holte seine Jacke, und die beiden traten in die Sakristei. Harry konnte der Versuchung nicht widerstehen, einen letzten Blick nach hinten ins Kirchenschiff zu werfen. Leer.
    »Brauchen Sie meine Schlüssel?«, erkundigte er sich.
    »Nein, ist schon okay, vielen Dank«, erwiderte Jenny, während sie hinausgingen. »Dad hat mir seine geliehen. Wahrscheinlich kommt er später selbst vorbei, nur um sicher zu sein, dass ich auch wirklich abgeschlossen habe und dass das Licht aus ist.«
    Ein Land Rover, der einen langen, niedrigen Anhänger zog, hatte vor Dick Grimes’ Geschäft angehalten, ganz nahe am Kircheneingang. Der Fahrer sprang heraus, gefolgt von einem schwarzweißen Collie. Der Mann ging nach hinten zu dem Anhänger und öffnete die Tür. Der Hund rannte die Rampe hinauf, und ein Dutzend Schafe kamen herausgestolpert. Harry und Jenny sahen zu, wie der Hund sie um den Wagen herumlotste und sie dann auf die Scheune hinter der Metzgerei zutrieb.
    »Sie sind nicht vom Land, nicht wahr, Reverend?«, fragte sie ihn.
    Sie sahen, wie die Schafe in der Scheune verschwanden, dann kamen der Fahrer und der Collie wieder heraus und sprangen ins Auto. Als der Wagen um die Ecke bog und davonfuhr, musste eine Frau ganz dicht an die Mauer herantreten, um nicht überfahren zu werden. Es war Gillian.
    »Nein.« Harry wandte sich wieder Jenny zu. »Aber ich lerne

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