Bluternte: Thriller
ihres Pullovers steifte sein Gesicht, und er hätte zu gern die Hand nach ihr ausgestreckt, um sie näher zu sich herabzuziehen. Dann war sie weg.
»Wir können Tom doch nicht hier draußen lassen«, sagte sie. »Wie sollen wir das anstellen?«
Tom hier draußen lassen?
»Ich schließe den Wagen ab«, antwortete sein Vater. »Dauert doch nur dreißig Sekunden. Komm schon!«
Der Geruch von Toms Mutter verflog. Er hörte, wie die Autotür leise geschlossen wurde, das Piepsgeräusch der Fernbedienung und dann das dumpfe Einrasten der Türschlösser. Tom öffnete die Augen. Er saß im Auto, auf dem Rücksitz, am Fenster. Ganz allein.
Der Wagen war in der Einfahrt zu ihrem Haus geparkt. Tom konnte Licht im Erdgeschoss sehen. Die Haustür stand offen. Bestimmt trugen seine Eltern Joe und Millie hinauf ins Bett, und dann würde sein Dad zurückkommen und ihn holen. Das machten sie öfter so, wenn sie sehr spät nach Hause kamen, so wie heute, als sie bei Granny und Granddad Fletcher gewesen waren, zum Abendessen. Tom schloss die Augen und schickte sich an, wieder einzudösen.
Aber wie konnte er schlafen, wenn ganz in der Nähe irgendetwas todunglücklich war und Angst hatte? Immer wieder und wieder stöhnte irgendetwas. Seiner Mutter war davon schlecht geworden. Tom hätte bei dem Geräusch am liebsten geweint. Dann ertönte ein Schrei. Ein lauter, durchdringender Schrei, und er war wieder hellwach.
Tom spähte den Hügel hinauf. Auf der anderen Straßenseite waren die Häuser um die Metzgerei herum hell erleuchtet. Er konnte Bewegung sehen. Männer liefen herum und trugen große Bündel auf den Schultern.
Sein Sitzgurt war noch immer fest geschlossen, und er griff nach unten, um ihn zu öffnen. Das Auto war abgeschlossen, und die hinteren Türen hatten eine Kindersicherung, aber Tom wusste genau, dass er über die Rückenlehnen der Vordersitze klettern und die Fahrertür aufmachen konnte. Innerhalb von fünf Sekunden könnte er im Haus sein. Fünf Sekunden zwischen dem Verlassen des abgeschlossenen Autos und dem Betreten des Hauses.
Das Geschrei und Gebrüll schien näher zu kommen. Vielleicht war es einfach nur lauter. So oder so, fünf Sekunden erschienen ihm zu lange. Sein Dad würde gleich wieder da sein. Tom rutschte auf dem Sitz in sich zusammen und hätte gern die Augen zugemacht, doch er traute sich nicht. Er wollte wirklich, dass sein Dad zurückkam. Dann hob er die Hände, um sich die Ohren zuzuhalten.
War da etwas draußen am Auto? Etwas, das ganz leise am Lack kratzte? Tom hielt den Atem an. Ja. Irgendetwas bewegte sich dort draußen. Er konnte es hören. Fast konnte er fühlen, wie der Wagen schaukelte. Er wagte es nicht, den Kopf zu bewegen. Vorsichtig schielte er zur Tür hinüber. Immer noch abgeschlossen. Niemand konnte sie ohne Schlüssel aufmachen. Oder doch?
Er musste nach seinem Dad rufen. Sich die Lunge aus dem Hals schreien. Nur war die Nacht voller Schreie, niemand würde den seinen hören. Die Hupe! Die würde sein Dad ganz bestimmt hören. Er brauchte sich bloß vorzubeugen, er konnte sie vom Rücksitz aus erreichen. Sein Dad würde es hören und angerannt kommen. Tom richtete sich sprungbereit auf.
Eine Hand erschien am Fenster, keine fünfzehn Zentimeter von seinem Gesicht entfernt.
Tom wusste, dass er aufgeschrien hatte. Er wusste auch, dass niemand ihn gehört hatte. Also versuchte er es noch einmal und brachte keinen Laut hervor. Bewegen konnte er sich auch nicht. Er musste einfach stumm zuschauen.
Die Hand hatte die falsche Farbe. Hände haben nicht diese Farbe. Sie sind nicht rot.
Die Hand begann abwärts zu rutschen und hinterließ eine Spur aus etwas, das aussah wie roter Schleim. Tom konnte den Abdruck der Daumenwurzel sehen und dann fünf wellige Schlieren, als Daumen und Finger quietschend über das Glas schmierten. Er sah, wie der Arm und dann das Handgelenk am unteren Rand des Fensters verschwanden. Die Handfläche war schon fast weg, und dann wackelten die Finger, als winkten sie ihm zu.
Er war hochgeschnellt, über die Rückenlehnen der Vordersitze, und streckte die Hand nach der Hupe aus. Durch die Windschutzscheibe starrte ein Gesicht zu ihm herein. Tom öffnete den Mund, um loszubrüllen, doch es war, als wäre sämtlicher Sauerstoff aus dem Auto herausgesaugt worden. Er bekam keine Luft, also konnte er auch nicht schreien.
Was war das? Was zum Teufel war das? Ein Mädchen, dachte er, sie hatte lange Haare. Aber ihr Kopf war viel zu groß. Und ihr Gesicht war
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