Blutfehde
er sich wieder der Onkologin zu und bedachte sie mit seinem berühmten Grinsen. »Ich dachte mir, wenn ich Ihnen schon ein paar Liter von meinem besten Zeug gebe, dann gehen Sie vielleicht für mich undercover. Oder Sie gestatten mir wenigstens einen Blick in die Patientenakte.«
Die groß gewachsene, attraktive Frau im Arztkittel schob ihre Schildpatt-Lesebrille vom Kopf auf die Nase und schlug die dicke Akte auf. »Bin nur ich so leicht rumzukriegen oder funktioniert dieses Lächeln bei jedem?«, fragte sie mich.
»Die Verbrecher fallen nicht drauf rein«, sagte ich. »Wir anderen schon.«
»Duke Quillian?«, sagte Mike.
»Wenn Sie mir versprechen, dass Ihr Beweisaufnahmeantrag in Kürze auf meinem Tisch liegt.«
»Kein Problem.«
Sie rückte die Brille zurecht und fing an, die Unterlagen in dem blauen Ordner zu lesen. »Akute Leukämie, Mike. Es begann mit den üblichen Symptomen: Müdigkeit, häufige Fiebererkrankungen und Infektionen. Nasen- und Zahnfleischbluten. Nachdem sein Hausarzt - ein Allgemeinarzt in der Bronx - zwei, drei Mal Antibiotika verschrieben hatte, machte er einen Bluttest. Er stellte aufgrund der Ergebnisse die Diagnose und schickte Mr Quillian zu uns. Der Krankheitsverlauf war absolut typisch.«
»Muss man denn nicht einen Haufen Beziehungen spielen lassen, um in Ihren Schuppen hier reinzukommen?«, fragte Mike.
Anna schüttelte den Kopf. »Das scheinen die meisten Leute wohl zu denken. So wie’s aussieht, war Ihr Freund Duke über die Gewerkschaft bestens versichert. Was noch wichtiger ist: Damals gab es in der Bronx, wo er wohnte, keine medizinische Einrichtung, die Transplantationen durchführte. Ich bin mir nicht sicher, ob sich das in der Zwischenzeit geändert hat. Also war es nur logisch, dass er hierherkam.«
Das Wort Transplantation erregte meine Aufmerksamkeit. »Duke Quillian hatte eine Transplantation?«
»Damals war das die einzige Behandlungsmethode für akute Leukämie, vor allem bei so jungen Patienten.« Anna warf einen Blick in die Akte. »Mitte bis Ende zwanzig.«
»Wie läuft so etwas ab?«, fragte Mike.
»Zuerst wird bei dem Patienten eine Gewebetypisierung durchgeführt, um das menschliche Leukozytenantigen - HLA - zu bestimmen. Die Familienmitglieder werden ebenfalls gewebetypisiert. Hatte er Geschwister?«
Wir antworteten beide mit Ja.
»Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Familienmitglied dasselbe HLA hat, ist eins zu vier«, sagte Anna. »Ich hatte schon Fälle mit acht Kindern, von denen keins dieselbe HLA-Gruppe hatte wie der Patient, obwohl sich untereinander durchaus Übereinstimmungen fanden. Es gibt noch einen zweiten Grund, warum wir bei der Familie anfangen. «
»Und der wäre?«, fragte Mike.
»Knochenmark zu spenden ist eine äußerst schmerzhafte Angelegenheit. Man kann sich kaum vorstellen, wie stark die Schmerzen sind.« Annas Stimme sank zu einem Flüstern herab. »Wenn man es für jemanden tut, den man kennt und liebt, ist es wohl etwas leichter.«
»Und wenn die Geschwister nicht kompatibel sind?«
»Dann kontaktieren wir die Nationale Knochenmarkspenderdatei, um einen freiwilligen, HLA-identischen Spender zu finden.«
»Steht da, was in Quillians Fall geschah?« Mike war drauf und dran, Anna die Akte aus der Hand zu nehmen.
»Geduldig wie eh und je, Detective Chapman.« Anna sah mich an. »Mike kommt alle sechs Monate zum Blutspenden. Er erwartet, dass ich jemandem das Leben gerettet habe, noch bevor er seinen Saft und seine Kekse verdrückt hat.« Sie überflog die Seiten nach der gewünschten Information. »Ja, Mike. Es gab eine perfekte Übereinstimmung - seine Schwester Patricia. In den Unterlagen scheint sie als Trish aufgeführt zu sein.«
Mike klatschte in die Hände und machte ein Siegeszeichen in meine Richtung. »Also war Trish seine Spenderin. Duke bekam ihre DANN.«
»Nicht so schnell, Mike. Ja und nein.«
»Ich muss gestehen, dass ich verwirrt bin, Doktor Borowski. Das kapier ich nicht.«
»War er im Krankenhaus, ja oder nein?«, fragte Mike.
»Ich erklär Ihnen alles der Reihe nach. Wenn die Übereinstimmung bestätigt ist und der OP-Termin feststeht, wird der Patient ins Krankenhaus eingeliefert. Normalerweise beginnt man ungefähr neun Tage vor der OP mit der Chemo. Der Grund dafür ist, dass man die alten Knochenmarkzellen, die die Krankheit verursachen, völlig abtöten muss. Also war Duke von dem Tag an, neun Tage vor der OP, im Krankenhaus.«
»Wie schaut so eine OP aus?«, fragte ich.
»Zwei Prozeduren
Weitere Kostenlose Bücher