Blutfehde
werden am selben Tag durchgeführt, aber nur bei einer handelt es sich um einen echten chirurgischen Eingriff. Trish Quillian war diejenige, die im OP-Saal war, um sich ihr Knochenmark entnehmen zu lassen. «
Ich zuckte unwillkürlich zusammen.
»Sie stand natürlich unter Narkose, Alex. Man liegt mit dem Gesicht nach unten auf dem OP-Tisch. Dann werden Löcher in den Beckenkamm gebohrt.« Anna zeigte auf die Stelle an ihrer Hüfte. »Eine ganze Menge. Zwei Chirurgen saugen dann aus jedem dieser Löcher drei bis fünf Kubikzentimeter Knochenmark. Die Prozedur kann bis zu dreihundert Punktionen erforderlich machen, bis man ein Gefäß von der Größe einer Kaffeekanne gefüllt hat. Können Sie sich vorstellen, wie viel das ist?«
Mike machte ein grimmiges Gesicht. »Ja.«
»Das entnommene Knochenmark wird direkt ins Labor gesandt, wo man die Blutgruppen noch einmal miteinander vergleicht, die Knochenanteile aus dem Mark herausfiltert und so weiter. Das dauert noch eine Stunde.«
»Und Duke?«
»Der Patient ruht sich währenddessen in seinem Zimmer aus. Sobald das Knochenmark für die Transfusion bereit ist, wird es sofort zum Patienten gebracht, um es ihm über einen Beutel am Infusionsständer eintropfen zu lassen.«
Annas Schilderung klang sachlich und nüchtern.
»Sprachen Sie nicht von einer Transplantation?«
»Im Falle von Knochenmark bedeuten Transplantation und Transfusion dasselbe. Die Stammzellen sind wirklich genial. Sie haben eine Art internes Orientierungssystem. Sobald sie dem Patienten per Transfusion einverleibt sind, finden sie von selbst den Weg ins Knochenmark und siedeln sich genau dort an, wo sie hingehören.«
»Was passiert danach mit dem Patienten?«, fragte Mike.
»Nun, das war bestimmt eine schwierige Zeit für Duke Quillian, für alle. Trish war im Nu wieder zu Hause, aber Duke stand die nächsten vier Wochen unter strikter Quarantäne. Er wurde von anderen Patienten und Besuchern isoliert, Transplantationspatienten dürfen keiner Infektionsgefahr ausgesetzt werden. Man gab ihm Medikamente, um sein Immunsystem zu supprimieren und um eine so genannte GvHD, eine Graft-versus-Host-Reaktion zu verhindern, damit er das neue Knochenmark nicht abstieß.«
Mike verglich die Transplantationsberichte, die Anna ihm gereicht hatte, mit den Daten von Rebecca Hassetts Ermordung.
»Und? Was sagen die Daten?«, fragte ich.
»Aus diesen verdammten Unterlagen hier geht hervor, dass Duke Quillian auch noch sechs Wochen nach der Transplantation im Krankenhaus lag, eine ganze Woche nach dem Mord an Bex.« Mike klappte enttäuscht die Akte zu. »Stand er die ganze Zeit unter Quarantäne?«
Anna nahm ihm den dicken Ordner weg. »Wollen Sie, dass ich Ärger mit der Verwaltung bekomme? Wir können uns die Akte gemeinsam ansehen. Es sieht so aus, als hätte Duke nach dem dreißigsten Tag grünes Licht erhalten. Der dreißigste Tag ist der kritische Punkt. Da werden die DANN-Tests gemacht. Sein behandelnder Arzt wollte ihn so lange wie möglich in einer sicheren Umgebung behalten, bevor er ihn entließ.«
»Welche DANN-Tests?«, fragte ich.
»Routinemäßige Bluttests, um sicherzugehen, dass er das Knochenmark seiner Schwester nicht abgestoßen hatte. Dass die DANN, die Duke produzierte, tatsächlich von den Zellen stammte, die man Trish entnommen hatte.«
»Anna.« Mike stützte die Ellbogen auf den Tisch und sah sie ernst an. »Stand er nach dem dreißigsten Tag unter Quarantäne?«
Sie ließ sich Zeit, um das Kleingedruckte und die Notizen der Krankenschwestern zu lesen, und schüttelte dann den Kopf. »Nein. Er wurde in ein anderes Stockwerk verlegt. Sein Arzt wollte ihn noch weitere zwei Wochen für Tests hierbehalten. Wegen des hohen Infektionsrisikos bei Dukes Job.«
Mike beugte sich noch weiter vor. »Also nur mal angenommen, er bekam einen Krankenhauskoller. Mal angenommen, er wollte unbedingt an die frische Luft und im Park ein paar Runden spazieren gehen. War er dafür stark und gesund genug?«
»Natürlich. Klar war er das. Er hätte allerdings am Sicherheitsdienst des Krankenhauses vorbeikommen müssen.«
»Beim Rausgehen? Er zieht Straßenklamotten an und spaziert durch die Tür. Sie halten das für ein Problem?«
»Lassen Sie das nicht unsere Sicherheitsleute hören.«
»Ich rede hier von etwas, das über zehn Jahre zurückliegt, Anna. Ich will niemanden in Schwierigkeiten bringen.« Mike lehnte sich zurück und sah mich an. »Duke hat seinen Patientenausweis und seine
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