Blutfehde
Methodologie, oder? Es steht ihr nicht zu, in dieser Frage eine Sachverständige in den Zeugenstand zu rufen. Alexandra hat nicht ein Fünkchen, nicht ein Fitzelchen, nicht ein Fleckchen an medizinischen Beweisen, die darauf hindeuten würden, dass es in der Beziehung der Quillians zu Gewaltanwendung kam. Keine Verletzungen, keine Polizeiberichte.«
»Danke, dass du mir bei meiner Beweisführung hilfst, Lern. Genau deshalb brauche ich diese Zeugin.«
Artie Tramm kam mit der Stenographin zurück, die mit ihrer kompakten Maschine und ihrem Stativ nach vorne ging.
Es war klug von Lern, Beweise einzufordern, ohne die der Richter meine Zeugin ablehnen könnte. Indem er mich zu diesem frühen Zeitpunkt im Prozess zwang, meine Karten offen auf den Tisch zu legen, musste ich dem Richter - und der Verteidigung - vorab einen Einblick in meine Beweisführung geben. Sollte sie Lücken aufweisen, würde es meiner Srategie sehr schaden.
»Holen wir den Angeklagten«, sagte Gertz mit einer Handbewegung in Tramms Richtung. »Bringen Sie ihn herein. «
Jetzt, da weder Geschworene noch Zuschauer anwesend waren, öffneten die Gerichtspolizisten die Tür auf der anderen Seite der Richterbank, und ich sah, wie sie Brendan Quillian die Handschellen abnahmen. Im Gegensatz zu den meisten Straftätern, die vor Gericht erschienen, war er kooperativ und gefügig, hielt ihnen die Arme hin wie ein Gentleman und bedankte sich bei ihnen, als sie ihn von den Handschellen befreiten.
Jonetta Purvis eröffnete die Sitzung, der Richter notierte den Grund für den verspäteten Sitzungsbeginn, und ich stand auf, um mit meiner Beweisführung zu beginnen. Quillians Stuhl quietschte auf dem Boden, als er sich so setzte, dass er mich ansehen konnte, und als ich aufsah, blickte ich in sein kaltes, totes Auge.
»Wer ist die Sachverständige, die Sie in den Zeugenstand rufen wollen, Miss Cooper?«, fragte Gertz.
»Ihr Name ist Emma Enloe. Dr. Enloe. Sie ist Ärztin beim Gesundheitsamt der Stadt New York.«
»Ich dachte, Sie hätten Mr Howell gesagt, dass die Verstorbene nie wegen irgendwelcher Verletzungen behandelt wurde?«
»Das ist richtig, Euer Ehren. Dr. Enloe hat Amanda Quillian weder getroffen noch untersucht. Ihr Fachgebiet ist Gewalt in Partner-Beziehungen.«
Die Rechtsprechung hatte diesen Bereich erst spät anerkannt. Bis in die 1980er Jahre hinein galt häusliche Gewalt vor den amerikanischen Gerichten als Privatangelegenheit. Ehepaare, unverheiratete Paare, Expartner, deren Auseinandersetzungen eskalierten, bis es zu körperlichen Misshandlungen kam, wurden von der Staatsanwaltschaft, der Polizei und den Gerichten nach Hause geschickt, damit sie ihre Probleme untereinander lösten. Ein Gewalttäter, den das Opfer kannte, wurde selten als ebenso gefährlich eingeschätzt wie ein Fremdtäter, und nur selten wurde der Letalitätsfaktor - die potenzielle Bedrohung für Leib und Leben - bei der Festsetzung der Kaution oder der Ausstellung eines Kontaktverbots berücksichtigt.
»Was muss man darüber schon wissen?«, fragte Gertz. »Juristisch gesehen spielt es bei Mord, Gewaltverbrechen und Vergewaltigung keine Rolle, ob der Täter mit dem Opfer verheiratet ist oder es nie zuvor gesehen hat.«
»So steht es vielleicht im Strafgesetzbuch«, sagte ich, »aber Tatsache ist, dass die Opfer häuslicher Gewalt in der Mehrheit nach wie vor anders behandelt werden. Von der Polizei, vom Gericht, vom Arzt und natürlich auch von der Öffentlichkeit, aus der sich unsere Geschworenen rekrutieren.«
»Und was wird uns diese Dame erzählen?«
»Lauter Humbug«, sagte Lern Howell. »Geschwafel. Nichts, was Sie nicht schon wissen.«
»Dr. Enloe hat vor zwei Jahren die Ergebnisse eines von ihr geleiteten Forschungsprojektes publiziert. Eines streng wissenschaftlichen Forschungsprojektes, für den Fall, dass es Mr Howell glücklich macht. Über einen Zeitraum von vier Jahren untersuchte sie alle weiblichen Mordopfer in New York City auf die Todesursache und Todesart. «
»Wie viele waren das?«
»Allein in diesem Zeitraum über zwölfhundert Tötungsdelikte - Femizide -, alles Frauen über sechzehn. In über fünfzig Prozent der Fälle, die aufgeklärt wurden, konnte man feststellen, ob es eine Beziehung zwischen dem Opfer und dem Mörder gegeben hatte, ob sie sich kannten oder ob sie sich noch nie zuvor gesehen hatten.«
Die richtungsweisenden Ergebnisse dieser Studie hatten es auf die Titelseite der New York Times geschafft und sich unter Juristen
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