Blutfehde
stattgegeben, dass ich die Hochzeitszeremonie durchführe. Es ist eine einmalige Sache - Ihr Job ist dadurch in keiner Weise in Gefahr.«
Wir sprachen über die Rede, die ich für den Anlass geschrieben hatte, als Artie Tramm wieder den Gerichtssaal betrat. Er zwirbelte seinen Schnauzbart mit einer Hand und gab Lern und mir ein Zeichen zurückzubleiben. Er ging direkt zur Richterbank, zog Gertz am Arm beiseite und flüsterte ihm etwas ins Ohr.
Gertz blieb stehen und blickte kopfschüttelnd von Lern zu mir. »Ms Cooper, Mr Howell. Würden Sie bitte näher treten?«
»Soll das wieder ins Protokoll aufgenommen werden?«, fragte die Stenographin.
»Nein. Noch nicht. Artie, würden Sie bitte den Angeklagten für ein paar Minuten wieder in seine Zelle bringen lassen?«
Lern und ich gingen zu Gertz, der plötzlich sehr ernst dreinblickte, während die Polizisten den Angeklagten aus dem Gerichtssaal führten.
»Artie, sagen Sie ihnen, was Sie gehört haben«, sagte der Richter. »Ich weiß nicht, was wir machen sollen.«
»Es geht um seinen Bruder. Sein Bruder ist unter den Todesopfern.«
»Wessen Bruder?«, fragte ich.
»Der Bruder des Angeklagten, Ms Cooper.«
»Ich wusste nicht, dass er einen Bruder hat, Euer Ehren. War er -«
»Weißt du darüber Bescheid, Lern? Wie soll ich damit umgehen?«, fragte der Richter.
»Ich tappe genauso im Dunkeln wie du«, sagte Lern. »Wer genau ist dieser Bruder, und wie ist er gestorben? Ich will auf keinen Fall, dass Brendan diese Nachricht im Verlauf der Hauptverhandlung hört.«
»Artie sagt, es gibt Gerüchte -«
»Es ist kein Gerücht mehr, Euer Ehren«, sagte Artie. »Der Bürgermeister wird um ein Uhr eine Pressekonferenz abhalten. Duke. Duke Quillian. Der Bruder Ihres Mandanten, Mr Howell.«
»Was ist mit ihm?« Howell ging ein paar Schritte in Richtung der Tür, die zu den Zellen führte. Er wirkte nervös und aufrichtig überrascht.
»Man hat am Explosionsort Leichenteile gefunden, Lern«, sagte der Richter leise. »Offenbar sind bei der gestrigen Explosion mehrere Arbeiter getötet worden.«
Mein Angeklagter - Master of the Universe, Millionär von der Upper East Side, ein Mitglied der feinen New Yorker Gesellschaft - hatte einen Tunnelarbeiter als Bruder?
»Er wurde ins Jenseits gepustet, Mr Howell«, sagte Artie und hielt ihm die Tür auf. »Duke Quillian ist einer von den Männern, die gestern Nacht im Tunnel von der Explosion zerfetzt wurden.«
10
»Habe ich dich aufgeweckt?«, fragte ich Mike, nachdem ich von meinem Büro aus seine Privatnummer gewählt hatte.
»Nein. Ich bin gegen sechs Uhr früh aus der Bronx gekommen und hab mich für ein paar Stunden aufs Ohr gelegt. Lieutenant Peterson hat mich schon angerufen.« Peterson war der Leiter der Mordkommission Manhattan North.
»Wusstest du, dass Brendan Quillian einen Bruder hat?«
»Es kam bei den Ermittlungen nie zur Sprache. Ich dachte, ich würde ihn in- und auswendig kennen, Coop. Jetzt erzählt mir Peterson, dass er drei Brüder - inklusive des verstorbenen Duke - und eine Schwester hat. Die Brüder sind alle Tunnelarbeiter, wie bereits der Vater. Ich weiß nicht, was ich dir sagen soll. Ich verstehe nicht, wie ich das übersehen konnte.«
Niemand ermittelte so gründlich wie Mike Chapman. »Ich gebe dir keinerlei Schuld.«
»Es gab nicht den geringsten Hinweis darauf, als wir seinen Hintergrund überprüften, weder in den Telefonunterlagen, noch während unserer wochenlangen Überwachungen von Quillian. Keiner von ihnen hat sich im Bestattungsinstitut in das Kondolenzbuch für Amanda eingetragen oder Brendan im Gefängnis besucht. Es ist, als hätte man sie nach der Geburt getrennt. Komisch, wo doch diese Tunnelbauerfamilien sonst so zusammenhalten. Wie hat er auf die Nachricht reagiert?«
»Gertz war schlau genug, es ihm nicht in meiner Anwesenheit zu sagen. Er verabschiedete sich von mir und den Geschworenen bis nächste Woche. Dann überließ er Lern den Geschworenenraum und beauftragte Artie, Quillian dorthin zu bringen, damit sie es ihm unter vier Augen sagen konnten.«
»Und der Prozess?«
»Ist bis nach der Beerdigung vertagt. Bis heute hätte ich mir ja noch Chancen ausgemalt, den Prozess zu gewinnen, aber warte mal ab, bis sich das herumgesprochen hat. Apropos Sympathie-Urteil. Ich seh’s schon förmlich vor mir, wie Lern in seinem Schlussplädoyer auf die Tränendrüsen drückt. Er wird es irgendwie schaffen, diese Familientragödie einzubauen.«
»Lass mich mit
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